06 - Ein echter Snob
als das Konzert beendet war und alle aufstanden, um sich in das
Speisezimmer zu begeben, wurde sie sich bewußt, dass auch andere Gäste da
waren. Sie sah den Herzog von Pelham und lächelte schüchtern, worauf sie ein
ziemlich frostiges Kopfnicken empfing.
Beim Abendessen gesellte sich Lord
Paul Mannering zu Lady Letitia, Mrs. Freemantle und Jenny. Er war sehr höflich
und unterhaltsam und sprach über Theaterstücke und Opernaufführungen und
alltäglichen Klatsch. Von Zeit zu Zeit ließ er seine Blicke anerkennend auf
Jennys bescheidener Miene ruhen. Aber Jenny ließ die Augen unter den langen
Wimpern hierhin und dahin wandern. Sie sah Miss Maddox, die mit dem
Mopsgesicht, neben einem jungen Gentleman sitzen, der ganz begeistert von ihrer
Gesellschaft zu sein schien. Jenny beobachtete, wie Miss Maddox ein bisschen
Wein auf ihrem Gewand verschüttete und vergeblich versuchte, den Flecken mit
ihrem Taschentuch zu entfernen. Sie schnitt eine lustig bekümmerte Grimasse
und stand dann auf.
Mit einem atemlosen »Entschuldigen
Sie mich« erhob sich Jenny ebenfalls und eilte hinter Miss Maddox her.
Sie fand sie in einem Vorraum, der
für die Damen als Frisier- und Waschraum hergerichtet worden war. Ein
Dienstmädchen bearbeitete Miss Maddox' Kleid mit Sodawasser und einem Schwamm.
Jenny machte sich an ihrem Haar zu
schaffen und fragte sich, wie sie eine Unterhaltung beginnen könnte, aber Miss
Maddox wandte sich bereits an sie. »Rotwein ist ein fürchterliches Zeug«, sagte
sie. »So wenig macht gleich so einen Fleck.«
»Alles, was verschüttet wird,
scheint sich ungeheuer auszudehnen«, sagte Jenny. »Eine Tasse Wasser wird zum
Niagarafall, wenn man sie auf den Boden schüttet. Darf ich mich vorstellen? Ich
bin Miss Jenny Sutherland und erst vor kurzem in die Hauptstadt gekommen.«
»Und ich bin Miss Mary Maddox«,
sagte die andere und streckte ihr die Hand hin. »Wie geht es Ihnen?«
»Sehr gut, danke.«
»Und wie gefällt es Ihnen in
London?« fragte Miss Maddox und entließ das Mädchen mit einer Handbewegung.
»Ich habe noch nicht viel davon
gesehen«, sagte Jenny. »Aber ich habe Sie gestern abend auf der Gesellschaft
der Bessamys gesehen.«
»Ach ja. Ich erinnere mich auch, dass
ich Sie gesehen habe. Ich habe ja so viel getanzt! Meine armen Füße tun immer
noch weh.«
»Ich habe überhaupt nicht getanzt«,
sagte Jenny bitter. »Ich fürchte, ich finde hier keinen Anklang.«
»Wissen Sie denn nicht, was
geschehen ist?« rief Mary Maddox aus. »Pelham war natürlich an allem schuld.«
»Pelham! Was hatte er damit zu tun?«
»Hat Ihnen Mrs. Bessamy das nicht
erzählt? Sie war so wütend und hat ihn als grausam beschimpft. Der Herzog hat
zu diesem Schwätzer, Mr. Camden, gesagt, dass kein Gentleman mit guten Manieren
mit Ihnen tanzen sollte, und der klatschsüchtige Mr. Camden hat das natürlich
weitererzählt.«
Jenny holte tief Luft. »Ich könnte
ihn umbringen«, stieß sie wütend hervor.
»Heute hat er die ganze Sache
widerrufen und gesagt, Miss Sutherland sei bemerkenswert hübsch und er fände es
nur allzu verständlich, wenn sie sich ärgere.«
»Ich möchte gerne wissen, ob meine
Tante, Lady Letitia, das weiß«, sagte Jenny. »Aber das kann nicht sein, weil
sie gesagt hat, dass ich selbst an allem schuld sei.«
»Ist Lady Letitia die hochelegante
Dame, die bei Ihnen und Mrs. Freemantle sitzt?«
Jenny nickte.
»Ich glaube es auch nicht. Denn sie
machte einen bekümmerten und verwirrten Eindruck. Ich würde mich nicht über
den versnobten Pelham ärgern. Sie sind unheimlich hübsch. Das sagen alle.«
Jenny schaute in den Spiegel. Die
alte, vertraute eitle Jenny schaute zurück. Es war wie das Wiedersehen mit
einer lieben Freundin. Jennys Augen begannen zu leuchten.
»Ich bin Ihnen sehr zu Dank
verpflichtet für Ihre Neuigkeiten, Miss Maddox.«
»Wollen Sie mich nicht Mary nennen?
Ich habe das Gefühl, wir könnten Freundinnen werden.«
Bevor Jenny antworten konnte, kamen
Lady Letitia und Mrs. Freemantle herein. »Ich muss den Saum von Agnes' Kleid nähen«,
sagte Lady Letitia. »Geh hinein und unterhalte Lord Paul, Jenny, bis wir
zurückkommen.«
Jenny eilte weg, ohne Mary Maddox
vorzustellen. Lady Letitia stellte sich selbst vor und entschuldigte sich für
die Gedankenlosigkeit ihres Schützlings.
»Ich fürchte, ich habe Miss
Sutherland einen Schock versetzt«, sagte Mary. »Ich habe ihr erzählt, was der
Herzog von Pelham über sie gesagt hat.«
»Ach du meine Güte«, dröhnte
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