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06 - Ein echter Snob

06 - Ein echter Snob

Titel: 06 - Ein echter Snob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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vernichten.
    Joseph stolzierte durch die Londoner
Straßen und hoffte, ein bisschen frische Luft zu bekommen. Die Sonne ging
gerade unter, aber es war noch immer heiß und windstill. Es lag ein seltsames
Gefühl von Erwartung in der Luft, als ob die ganze große Stadt den Atem
anhalte.
    Er beschloss, in den >Running
Footman< zu gehen, bevor die Hitze seine Halskrause, die so sorgfältig
gestärkt gewesen war, noch schlaffer machte. Es würde heiß im Pub sein, aber
nicht viel heißer als in den sengenden Straßen. Er spürte die Hitze des Pflasters
sogar durch die dünnen Sohlen seiner flachen schwarzen Schuhe.
    Und dann sah er auf einmal Lizzie
auf der anderen Seite der Oxford Street am Arm eines Gentleman gehen. Sie trug
ihr bestes grünes Kleid und schaute mit einem dämlichen, heftig verliebten
Gesichtsausdruck zu dem Mann auf — so sah es jedenfalls Joseph. Der Lakai war
außer sich vor Zorn. Seine Schuldgefühle bei dem Gedanken, die Stellung bei
Lord Charteris anzunehmen, hatten ihn ganz unglücklich gemacht, und nur, weil
er dachte, er würde Lizzie das Herz brechen. Und da ging sie und war
offensichtlich die Mätresse eines Gentlemans, der wie ein Ausländer aussah. »Na
warte, wenn Rainbird das erfährt!« sagte Joseph laut vor sich hin und starrte
eine Dame, die darüber lachen musste, mit wütenden Blicken an.
    Es traf ihn ins Herz, als ihm
einfiel, dass die alte Lizzie mit genau demselben Gesichtsausdruck zu ihm
aufzuschauen pflegte, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Aber er wischte
sie trotzig ab, und als er beim >Running Footman< angekommen war, hatte
die Erleichterung darüber, dass es einen Ausweg aus seiner heiklen Lage gab,
bereits alle Gefühlsduselei verscheucht. Er würde Lizzies Treulosigkeit für
seine Entscheidung, sich nicht an ihrem gemeinsamen Vorhaben zu beteiligen,
verantwortlich machen. Dann würde das Küchenmädchen, dieses Flittchen, wenigstens
so leiden, wie sie es verdiente.
    »Es ist einfach nicht gerecht!« sagte
das Stubenmädchen Jenny, sank auf eine Parkbank und brach in Tränen aus. Angus
und Mrs. Middleton, die in Gedanken an ihre gemeinsame Zukunft dahin-spaziert
waren, drehten sich überrascht um.
    »Was willst du damit sagen, meine
Liebe?« fragte Mrs. Middleton. Die Haushälterin setzte sich rechts von Jenny
und der Koch links von ihr auf die Bank.
    »Ich habe sie, die andere Jenny,
Miss Sutherland, heute abend ausgehen sehen«, schluchzte das Stubenmädchen,
»und es scheint mir nicht richtig, dass jemand, der so heißt wie ich, zu all
den Festen geht und all die hübschen Kleider trägt, und ich habe nichts, auf
das ich mich freuen kann, außer ein Leben als Dienstmagd. Und ich werde ganz
allein sein, das können Sie mir glauben! Alice hat nur noch für diesen Fergus
Augen.«
    Sie wischte sich mit dem Handrücken
über die Augen und starrte trotzig in die untergehende Sonne.
    »Aber du wirst bald eine unabhängige
Dame sein. Wir werden alle in ein paar Wochen frei sein«, sagte der Koch. »Und
im übrigen hat uns Gott unseren Platz im Leben angewiesen, und es hat keinen
Sinn, eine Debütantin sein zu wollen.«
    »Ich werde die Fußböden scheuern und
die Gäste bedienen, und meine Hände werden immer röter. Nichts wird sich ändern«,
sagte Jenny wütend.
    »Aber du wirst für dich selbst
arbeiten«, sagte der Koch. »Ich habe es satt zu arbeiten«, erwiderte Jenny mit
stockender Stimme. »Ich möchte heiraten.«
    Mrs. Middleton dachte viel später,
wenn sie sich die Ereignisse dieses Tages ins Gedächtnis zurückrief, dass ihr
neuer Status als Verlobte ihren Verstand wunderbar befruchtet haben musste,
denn früher hatte sie sich bei Problemen immer an Rainbird gewandt.
    Sie legte tröstend einen Arm um
Jennys Schultern. »Ich will dir ein großes Geheimnis verraten«, sagte sie.
»Angus und ich wollen heiraten.«
    »Das freut mich für Sie«, sagte
Jenny.
    »Mir ist gerade ein Einfall
gekommen«, sagte die Haushälterin und tastete sich langsam vorwärts. »Wenn Mr.
MacGregor nichts dagegen hat, werden wir dich adoptieren.«
    »Ausgezeichnet!« rief Angus.
    »Ja, wir werden dich adoptieren«,
sagte Mrs. Middleton entschlossen. »Wenn du unsere Tochter bist, werden wir
uns um dich kümmern können und einen geeigneten jungen Mann für dich aussuchen,
und deine Stellung ist die der jungen Dame des Hauses. Deine Eltern leben doch
nicht mehr, oder?«
    »Ich glaube nicht«, sagte Jenny.
»Ich habe sowieso nie gewußt, wer sie waren. Aber mich

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