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06 - Ein echter Snob

06 - Ein echter Snob

Titel: 06 - Ein echter Snob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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gesellschaftlichen
Umgangsformen betrachtet, und wer zu den höchsten Kreisen gehören wollte,
zahlte eine Menge Geld, um diese Kunst zu erlernen. Als erstes galt es, in den
Kreis einzudringen und sich vor allen in der Runde Sitzenden leicht zu
verbeugen, während man an ihnen entlangging. Dann musste man zur Gastgeberin
vordringen und sich mit Würde wieder zurückziehen, wobei man mit Hut, Degen und
großem Muff zurechtkommen musste.
    Rainbirds Gesichtsausdruck war so
aufgeblasen, seine falschen Koteletten so gewaltig, seine Sprache so
verhaspelt und seine Stimme so abgewürgt, dass der Herzog seinen Butler nicht
erkannte.
    In seiner Rolle als Husar versuchte
Rainbird, in den Kreis einzudringen, aber jedes Mal, wenn er sich dem Kreis
näherte, rückten die Schauspieler ihre Stühle so eng zusammen, dass er keinen
Durchschlupf fand. Seine dummen Possen mit dem riesigen Muff und dem Degen, der
sich ständig zwischen seinen Beinen verhedderte, entzückten das Publikum. Die
Szene war ungeheuer komisch und wurde immer komischer. Der Herzog lachte
herzlicher und länger als je zuvor in seinem ganzen Leben. Es war gar nicht so
sehr das, was Rainbird machte, sondern seine ganze Persönlichkeit, die so
komisch war, und als er plötzlich mit einem gewaltigen Sprung über die Köpfe
der Schauspieler setzte und zu Füßen seiner Gastgeberin landete, brüllten die
Zuschauer vor Lachen und jubelten ihm zu.
    Dann schloss sich der Vorhang, und
die Kolombine trat auf, um mit rauher Falsettstimme das Lied von der Liese auf
der Wiese zu singen.
    Rainbird hatte sich gerade das
Husarenkostüm vom Leib gerissen und die Requisiten, die er zum Jonglieren
brauchte, gepackt, als ihn der kleine Dave am Ärmel zupfte.
    »Er ist da«, flüsterte er.
    »Wer?«
    »Der Herzog.«
    »Bist du sicher?«
    »In der Seitenloge da oben mit einer
Dame.«
    »0 Gott! Was soll ich tun?« fragte
Rainbird verzweifelt. »Er wird mich entlassen.«
    »Macht doch nichts«, sagte Dave
nachdrücklich. »Dann bleibt uns immer noch das Gasthaus.«
    »Ja«, sagte Rainbird langsam. »Aber
dann werde ich nie erfahren, was es mit Palmer auf sich hat.«
    »Sie haben mir erzählt, Sie hätten
gehört, wie er dem Herzog die Wahrheit über unsere niedrigen Löhne gesagt hat.
Und Sie haben mir gesagt, dass ich es vergessen soll.«
    »Aber ich habe noch einmal darüber
nachgedacht«, sagte Rainbird. »Nimm einmal an — nimm bloß einmal an — dass er
geschwindelt hat. Nimm an, die Löhne sind sogar noch niedriger als die, die er
dem Herzog genannt hat. Der Herzog scheint mir ein fairer Mann zu sein. Ich
könnte schwören, wenn er erfahren hätte, was wir wirklich kriegen, wäre er so
überrascht gewesen, dass er auf der Stelle nach mir geschickt hätte.«
    »Was ist los?« Mr. Frank erschien,
in Schweiß gebadet. »Jeremy ist fertig, und die Zuschauer reißen mir das Haus
ein, wenn Sie sich nicht beeilen.«
    »Geben Sie mir zwei Bücher aus Ihrem
Kontor, Mr. Frank«, bat Rainbird dringend, »und halten Sie — lassen Sie mich
nachdenken — Mr. Isaacs davon ab, sich umzuziehen. Sagen Sie ihm, er muss eine
Zeile sagen. Wenn ich ihn anschaue, muss er sagen: >Zeigen Sie mir die
Bücher, Palmer.< Jeremy soll noch ein Lied singen.«
    Die unglückselige Kolombine wurde
wieder auf die Bühne hinausgeschubst und musste sich den Spott- und Buhrufen
stellen. In seiner Verzweiflung begann Jeremy mit seiner normalen Stimme, die
ziemlich tief war, das »Roast Beef of Old England« zu singen. Damit brachte er
das Publikum zum Lachen und hielt es bei guter Laune.
    Jemand rief ihm etwas aus den
Kulissen zu, und mit einem graziösen Knicks trat Jeremy dankbar ab.
    Die Zuschauer jubelten, als Rainbird
wieder die Bühne betrat. Der Herzog lehnte sich in seinem Stuhl nach vorne und
rief: »Das ist mein Butler. Warten Sie hier, Lady Bellisle. Ich werde mir den
Kerl vorknöpfen.«
    »Er weiß, dass Sie hier sind«,
zischte Lady Bellisle. »Er hat eben nach Ihnen Ausschau gehalten. Warten Sie!
Sie können ihn nachher anschreien, so viel Sie wollen, aber Sie werden nicht
die Aufführung des besten Komödianten, den ich je gesehen habe, verderben.«
    Der Herzog sank in seinen Stuhl
zurück und schaute Rainbird mit bösen Blicken an. Hätte er doch nur auf Palmers
Warnungen gehört, als ihm dieser sagte, seine Diener seien radikal. »Radikal«
war nicht die richtige Bezeichnung für sie. Sie waren verrückt!
    Rainbird steckte jetzt in einer
Livree. Unter jedem Arm trug er ein großes

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