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06 - Ein echter Snob

06 - Ein echter Snob

Titel: 06 - Ein echter Snob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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offensichtlich zum Teufel wünschst.«
    Dann wartete Jenny tapfer auf die
Antwort. Was, wenn diese neue Freundin etwas so Furchtbares sagen würde, wie
»es liegt daran, dass du so eitel bist«?
    Mary stieß einen Seufzer aus. »Es
ist bitter, nicht schön zu sein«, sagte sie leise. »Jedermann liebt einen, wenn
man schön ist. Ich wünschte, ich würde wie du aussehen.«
    »Aber seit ich in London bin,
erzählt mir jeder, dass ich so sein sollte wie du«, sagte Jenny. »Alle sprechen
über die Offenheit und den Charme deines Wesens.«
    »Das ist nichts, verglichen mit
Schönheit«, sagte Mary traurig. »Ich habe nie zuvor Mr. Parry so entspannt und
glücklich gesehen wie heute abend in deiner Gesellschaft.«
    »Du Dummchen!« rief Jenny. »Ich
kenne den Weg zum Herzen dieses jungen Mannes. Ich habe über dich gesprochen!«
»Über mich?«
    »Ja, über dich, Dummerchen. Ich
weiß, dass sich Mr. Parry lebhaft für dich interessiert, aber ich dachte, er
sei dir gleichgültig.«
    Mary ergriff Jennys Hände und hielt
sie ganz fest. »Du machst dich nicht über mich lustig?«
    »Keineswegs. Ich habe über dich
gesprochen und ihn über dich ausgefragt, und jedes Mal, wenn ich das Thema
wechseln wollte, verlor er das Interesse an der Unterhaltung.«
    Als sich die Herren wieder zu ihnen
gesellten, konnte sich Jenny an Marys Glückseligkeit freuen, die dasaß und sich
mit Toby Parry unterhielt. Es war ein wunderbares Gefühl, dabei geholfen zu
haben, jemand anderen glücklich zu machen. Während des Dinners war Jenny schon
beinahe davon abgekommen, nach Holborn zu fahren. Aber jetzt war sie
entschlossener denn je.

Achtes Kapitel

    >Jenny war sehr zufrieden mit ihrem
Aussehen, als sie aus dem Haus schlüpfte, nachdem Lady Letitia zu Bett gegangen
war. Sie hatte die Federn und Verzierungen von einem Strohhut abgerissen und
seine Fasson etwas geändert. Dazu trug sie ein einfaches Tageskleid, und um die
Schultern hatte sie einen alten Schal ihrer verstorbenen Mutter geschlungen.
Als sie in den Spiegel schaute, bevor sie ging, beruhigte sie ihr schäbiges
Äußeres sehr. Reiche Kleidung würde zu viel Aufmerksamkeit erregen.
    Aber der Kutscher auf dem Bock der
Mietkutsche, die sie am Piccadilly rief, schaute voller Zweifel auf ihr allzu
schlichtes Gewand und verlangte das Fahrgeld im voraus.
    »Also gut«, sagte Jenny ärgerlich
und gab ihm einen Shilling.    
»Aber Sie müssen auf mich warten.«
    Der Kutscher brummte etwas
Unverständliches vor sich hin, und Jenny kletterte in das übelriechende Innere
der Kutsche. Sie riss das Fenster herunter, aber die Luft, die hereinströmte,
war alles andere als frisch. London stank entsetzlich nach Abwässern und
Pferdedung.
    Das Klappern der alten Kutsche war
so laut, dass sie den herannahenden Sturm nicht hörte.
    Als sie in Holborn ausstieg, traf
sie daher der gewaltige Donnerschlag fast über ihrem Kopf ganz unvorbereitet.
Die Pferde bäumten sich auf und drohten durchzugehen. »Sie warten doch?« rief
sie zum Kutscher hinauf.
    »Sie haben die Rückfahrt nicht
bezahlt, Miss«, rief er herunter, »und ich will hier weg, bevor das Gewitter
losgeht.«
    Zu Jennys großer Erbitterung fuhr er
los.
    Also so was, dachte sie wütend. Dann
muss ich mir eben eine andere Kutsche nehmen, wenn ich hier fertig bin.
    Die Tür, die in das Gebäude führte,
war unverschlossen. Sie drehte den Türknopf, ging hinein und die abgetretenen
flachen Steinstufen hinauf. Dabei mußte sie sich am Geländer entlangtasten.
Warum hatte sie bloß keine Laterne oder Kerze mitgebracht? Aber eine solch
wichtige Person wie der Verwalter des Herzogs würde bestimmt nicht im
Dachgeschoß hausen. Sie wartete auf dem Treppenabsatz im ersten Stock, bis ein
greller Blitz das Messingschild neben einer Mahagonitür beleuchtete. PELHAMSCHE
GUTSVERWALTUNG glänzte es golden im blendenden Licht auf, bevor das
Treppenhaus wieder im Dunkel lag.
    Hier bin ich, dachte Jenny, die
mittlerweile außer sich vor Angst war. Sie fragte sich, ob es in der Familie
Sutherland außer ihr noch andere Verrückte gebe. Was in aller Welt tat sie hier
in einem Treppenhaus in Holborn, während über ihr ein Gewitter tobte? Aber es
war kein Mensch da, und sie konnte nicht weg, bevor der Sturm wenigstens etwas
nachgelassen hatte. So beschloss sie, den Kampf aufzunehmen, holte tief Atem
und versuchte sich am Türgriff. Die Tür war fest verschlossen.
    Jenny hatte nie richtig darüber
nachgedacht, wie sie in das Kontor des Verwalters eindringen

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