06 - Weihnacht
welchen ich besaß, war meine Ruhe, jene unerschütterliche Ruhe, die mich selbst in den schlimmsten Lagen nicht verlassen hat, ja, die sogar mit der Größe der Gefahr zu wachsen pflegte. Mein Herz tat keinen einzigen Schlag mehr als gewöhnlich; mein Kopf war frei, mein Auge klar und meine Stimmung von genauso unbeirrter Heiterkeit, als ob nicht ein gefährliches Sti-i-poka, sondern ein Ereignis ganz anderer Art, vielleicht eine Geburtstagsfeier, auf mich warte. Diese Kaltblütigkeit, welche durch nichts zu erschüttern war, hatte mich schon manchem Gegner überlegen gemacht und mich glücklich aus Fährligkeiten geführt, welche ich ohne sie sicher nicht bestanden hätte. Ich besitze sie heute noch in demselben Maße wie früher; es kann mich nichts aus der Fassung bringen. Es ist eine ganz eigene Sache um diese Ruhe; ich weiß nicht, ob sie eine Folge meines Selbstvertrauens oder ob dieses eine Folge von ihr ist, oder ob sie beide so innig zusammengehören, daß sie ein Ganzes bilden und gar nicht voneinander zu trennen sind.
Die Zeit war nahe herangekommen, und die Indianer begannen sich allmählich nach dem Platze zu begeben, der für den Zweikampf ausersehen worden war. Da endlich kam Yakonpi-Topa; er war bei Peteh gewesen und konnte mir nun die Bedingungen mitteilen. Es waren folgende:
Da wir drei Personen waren, nämlich ich, Carpio und Rost, sollten drei Gänge ausgefochten werden. Wenn ich getötet wurde, hatten die beiden andern weiterzukämpfen. Wurde Peteh getötet, was er aber für ganz ausgeschlossen hielt, so waren zwei Blutindianer bestimmt, welche nach ihm einzutreten hatten. Die Gänge waren bezeichnet als: erstens Faust- und Würgekampf am Baume, zweitens Nahkampf mit je einem Tomahawk, drittens Fernkampf mit je zwei Tomahawks. Wie dummschlau Peteh sich das ausgedacht hatte!
Zum Kampf am Baume sollten folgende Vorbereitungen getroffen werden. Auf dem dazu bestimmten Platze standen mehrere einzelne starke Bäume. An einen derselben sollten wir, einer hüben und der andere drüben und mit den Gesichtern gegeneinander, so gebunden werden, daß uns die Riemen oben unter den Armen hindurch und unten über die Hüften gingen. Eine Waffe gab es nicht. Es galt, den Gegner bloß mit den Händen zu besiegen. Das hatte Peteh sich ausgedacht, weil er überzeugt war, bei seiner großen Körperstärke sei es ihm leicht, mich durch einen Griff um den Hals zu erwürgen oder durch das Festpressen an den Baumstamm zu ersticken. Wir hatten ja die Hände frei; wenn er seine Arme um den Baum und um mich schlang, konnte er seine ganze Kraft entwickeln. In dem Augenblick, in welchem ich dies durchschaute, wußte ich, daß er mir nichts anhaben würde. Er hatte meinen Jagdhieb nicht mit in Berechnung gezogen.
Die Tomahawks hatte er gewählt, wohl weil er glaubte, mir in dieser Waffe überlegen zu sein; aber Winnetou war ein Meister in allen darauf bezüglichen Finessen und hatte nicht eher geruht, als bis sie auch mir geläufig geworden waren. Hätte mich etwas besorgt machen können, so wäre es der Umstand gewesen, daß ich seit längerer Zeit kein Indianerbeil in der Hand gehabt hatte und also aus der Übung gekommen war. Als ich die Mitteilung des Häuptlings so ruhig hinnahm, wie er nicht erwartet hatte, erkundigte er sich:
„Old Shatterhand sagt nichts dazu. Ist er nicht besorgt um sich?“
„Nein“, antwortete ich.
„Peteh will dich erwürgen!“
„Er mag es versuchen!“
„Du bist als Bleichgesicht nicht so fertig mit dem Tomahawk wie er!“
„Pshaw! Er kann noch von mir lernen!“
„Uff! Täuschst du dich nicht?“
„Nein. Freilich dürfte ich keine schlechte Waffe haben, denn wenn sie mir in der Hand zerspränge, wäre ich zwar noch immer nicht verloren, denn ich würde meine Faust gegen sein Beil setzen, aber er befände sich doch in großem Vorteile gegen mich.“
„Die Krieger der Upsarokas wollen Old Shatterhand als Sieger sehen; darum sollst du die zwei besten Tomahawks bekommen, welche der Stamm besitzt. Weißt du, welche Eigenschaften ein gutes Kriegsbeil haben muß?“
„Ja. Der Stiel muß genauso schwer sein wie das Blatt und ebenso genau dreimal länger als seine Schneide. Ist das richtig?“
„Ja, es ist richtig, denn nur wenn die Schwere und die Länge in dieser Weise stimmen, kann man mit dem Tomahawk krumme Bogen werfen, wodurch man den Feind irremacht. Ich höre, daß Old Shatterhand die Verhältnisse des Beiles kennt. Wenn er es auch so gut zu handhaben versteht, kann
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