06 - Weihnacht
zu tun haben wolle. Reiter und Welley ließen ihre Gewehre sinken und betrachteten den Apatschen mit ehrerbietigem Staunen. Dieser fuhr fort:
„Und nicht nur diese Gefangenen gehören uns zuerst, sondern auch das ganze Finding-hole ist unser Eigentum, denn ich habe es eher gekannt als die Bleichgesichter, welche es jetzt beanspruchen.“
Da trat Hiller schnell wieder vor und rief:
„Was? Das Gold soll uns genommen werden? Winnetou will es schon früher gekannt haben? Das kann jeder behaupten, der da hinter den Steinen gesteckt und gelauscht hat! Ich bin mit hierhergeritten, weil Reiter und Welley mir einen Teil davon versprochen haben, und es kann mir im ganzen Leben nicht einfallen, darauf zu verzichten!“
„Mir auch nicht“, erklärte Welley. „Ich werde mein Recht verteidigen, selbst gegen Winnetou! Und Ihr, Mr. Reiter?“
„Auch mir kommt es nicht im Traume bei“, antwortete dieser, „das Gold, welches ich selbst mit entdeckt habe, andern zu überlassen, seien sie, wer sie seien!“
„So ist's recht!“ rief Corner, indem er sich trotz seiner Fesseln aufzurichten versuchte. „Ihr habt uns zwar überfallen und gebunden, aber diese Differenz wird sich leicht ausgleichen lassen, wenn wir nur in Beziehung auf das Finding-hole fest zusammenhalten. Laßt euch ja nichts weismachen von früheren Entdeckungen! Das ist Lüge, nichts als Lüge! Diese Kerle haben uns belauscht und alles gehört, was über das Hole gesprochen wurde; sie kennen es also nun, und da ist die Behauptung billig, daß Winnetou es schon früher gekannt habe. Man weiß ja, was man auf die Worte eines Indianers zu geben hat! Bindet uns nur wieder los, so stellen wir uns an eure Seite und werden unser und euer Recht bis auf den letzten Tropfen Blut verteidigen!“
Auf weitere Worte hörte ich jetzt nicht, denn ich beschäftigte mich nun vor allen Dingen mit Carpio, der das Aussehen einer Leiche hatte und mir in einer in das Herz schneidenden Weise matt entgegenlächelte.
„Sappho!“ sagte er. „Endlich, endlich! Ich wußte, daß du kommen würdest, aber es hat so lange gedauert! Wenn du noch länger gewartet hättest, wäre ich gestorben!“
„Ich konnte nicht eher“, antwortete ich, indem ich die Riemen losband. „Nun ist aber alles, alles gut. Kannst du aufstehen?“
„Ja; halte mich!“
Ich unterstützte ihn; er mußte aber, kaum daß er auf die Beine gekommen war, sich wieder niedersetzen.
„Ich bin so matt, so matt“, klagte er. „Diese Menschen sind sehr schlecht mit mir umgegangen. Denke dir, ich soll hier in das eisige Wasser tauchen, um Gold heraufzuholen!“
„Das habe ich gehört. Hast du Hunger?“
„Eigentlich sollte ich welchen haben, aber ich bin zu müde dazu. Weißt du, lieber Sappho, mir ist so kalt; die letzte Nacht war schrecklich; ich möchte sterben, am allerliebsten sterben!“
„Du sollst es bald wieder warm haben und neue Lebenshoffnung bekommen, lieber Carpio! Jetzt entschuldige mich für einige Augenblicke! Die Sache will sich zuspitzen; es hat den Anschein, als ob es gar zum Kampfe kommen wolle.“
Es war so, wie ich sagte. Während ich mit Carpio beschäftigt gewesen war, hatten Hiller, Reiter und Welley sich immer mehr in Aufregung gesprochen und dem Apatschen drohender gegenübergestellt. Jetzt trat Welley gar mit Hiller zu den Gefangenen heran und sagte in drohendem Tone:
„Nun gut! Da es so steht, so geben wir diese Leute, obwohl sie den Tod an uns verdient haben, wieder frei. Sie werden zu uns halten, und dann wollen wir sehen, ob es so leicht ist, uns um unser Eigentum zu betrügen!“
Er bückte sich nieder, um zunächst Eggly die Fesseln abzunehmen; da aber gebot ihm Winnetou:
„Halt! Welley mag damit warten, bis ich ihm noch ein Wort gesagt habe! Diese Gefangenen gehören uns. Wer sich an ihnen vergreift, um sie zu befreien, ist unser Feind und wird als solcher behandelt. Jetzt tut, was ihr wollt; aber unsere Gewehre werden mitsprechen!“
Als ich das hörte, legte ich meinen Henrystutzen an. Fünfundzwanzig Schüsse, ohne zu laden, das war mehr als genug, sie alle im Schach zu halten; dennoch nahmen die fünf Schoschonen ihre Gewehre auch hoch, und Arnos Sannel zielte mit seiner Rallingbüchse direkt auf Welley. Da nahm letzterer die Hand von Eggly zurück und stieß einen Fluch aus. Winnetou fuhr jetzt fort:
„Winnetou, der Häuptling der Apatschen, braucht gar nicht zu versichern, daß er niemals eine Unwahrheit sagt, denn jedermann ist überzeugt davon. Er wird
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