06 - Weihnacht
ihren Zweifel je länger desto mehr ins Wanken. Zu ihrer Spannung gesellte sich die Unruhe, eine Folge meiner Behauptung, daß der Indianer ein feindlicher gewesen und also der Inhalt des Briefes kein erfreulicher sei.
Nach einer halben Stunde nahm ich das Leder aus dem Wasser und konnte die beiden Teile wie zwei aufeinander geklebte Papiere auseinanderziehen; sie konnten sie nicht unterscheiden: ich aber sah trotz der Nässe, welcher Teil die Decke gewesen und welcher der Brief war; diesen letzteren legte ich, die Schriftseite nach oben, auf die warme Ofenplatte, mußte aber sehr aufpassen, daß die Schrift ja nicht durch die Wärme zum Zerreißen kam. Dann wurde der Brief zwischen zwei Lampen auf den Tisch gelegt.
Die beiden beugten sich schnell darüber, um zu lesen, richteten sich aber enttäuscht wieder in die Höhe.
„Das sind ja keine geschriebenen Buchstaben sondern eingeschnittene rote Punkte, Striche und Figuren!“ sagte die Frau.
„Es ist eine wunderbar gelungene indianische Zinnoberschrift“, antwortete ich.
„Die nun wahrscheinlich kein Mensch lesen kann! Wie froh war ich, als Sie behaupteten und dann auch bewiesen, daß es ein Brief sei! Und nun fallen wir in die frühere Ungewißheit zurück!“
„Beruhigen Sie sich, Mrs. Hiller! Ich lese ihn.“
„Wirklich? Wahrhaftig? Wo haben Sie denn das nur gelernt?!“
„Bei den Indianern.“
„Was? Wie? Sie wären bei den Indianern gewesen? Davon haben Sie ja kein einziges Wort gesagt!“
„Man soll sprechen, wenn es notwendig ist, sonst nicht. Erlauben Sie, daß ich mir erst still die Bedeutung der Figuren entziffere! Das nimmt natürlich mehr Zeit in Anspruch als das Lesen eines Briefes in gewöhnlicher Schrift.“
Es dauerte vielleicht zehn Minuten, bis ich fertig war. Der Inhalt war, wie ich vorhergesagt hatte, kein erfreulicher. Ich fragte mich im stillen, ob es nicht vielleicht besser sei, ihn zu verschweigen, kam aber doch zu dem Entschlusse, ehrlich und aufrichtig zu sein. Ich durfte der Frau nicht vorenthalten, wie es mit ihrem Manne stand. Wenn sie es erfuhr, war es ihr mit Hilfe ihrer Pelzfirma vielleicht möglich, ihn zu retten. Ich bereitete sie durch eine kurze Einleitung auf die betrübende Mitteilung vor und erklärte ihnen dann:
„Sie sehen zunächst hier oben ein Viereck mit vier Cowboys darin. Das ist der Name des Schreibers und Absenders dieses Briefes, des Häuptlings der Kikatsa, welche eine Abteilung der Krähenindianer, also der Crows oder, wie sie selbst sich nennen, Upsarokas sind. Er heißt Yakonpi-Topa; das ist zu deutsch: Vier Hirten, womit Cowboys gemeint sind. Er hat nämlich damals, als er auszog, um sich einen Namen zu holen, was jeder junge Indianer tun muß, vier Cowboys getötet und ihre Skalpe mit heimgebracht; daher dieser sein Name.“
„Aber wie kommt dieser grausame Mörder dazu, mir einen Brief zu senden? Mein Mann hat doch mit ihm und den Kikatsa nie etwas zu tun gehabt!“ sagte die Frau.
„Bitte um Geduld; Sie werden es schnell genug erfahren. Weiter sehen Sie fünf Schlangen mit Menschenköpfen; vier von diesen Köpfen sind barhaupt und haben langes Haar, wie die Indianer tragen; der fünfte hat einen Hut auf, was stets einen Weißen bedeutet. Die Schlangen sind Schlangenindianer, also Snakes, die sich Schoschonen nennen. Ich weiß jetzt genau, daß Mr. Hiller mit diesen Schoschonen in Geschäftsverbindung steht.“
„Das ist richtig; er wollte auch zu ihnen. Woher wissen Sie das?“
„Die Schlange mit dem Hute ist Ihr Mann; die vier andern Schlangen sind Schoschonen. Unter ihnen sehen Sie sechs verkehrte Vögel, d.h. sie liegen auf dem Rücken und haben die Beine an den Leib gezogen; sie sind also tot. Von den Schlangen führt eine aus runden Punkten, welche Flintenkugeln bedeuten, bestehende Linie zu den Krähen herunter; das heißt: vier Schoschonen und Ihr Mann haben sechs Kikatsa erschossen. Die Vögel sollen nämlich Krähen, also Crow- oder Kikatsaindianer bedeuten.“
„Das ist unmöglich! Es kann meinem Mann nicht einfallen, einen Indianer zu töten!“
„Was ich hier lese und Ihnen sage, ist nicht nur nicht unmöglich sondern wahr, eine gar nicht anzuzweifelnde Tatsache. Der größte Indianerfreund kann, z.B. wenn er von ihnen überfallen wird, in die Lage kommen, einen oder einige Rote zu erschießen.“
„Das ist dann aber Notwehr und nicht Mord!“
„Ganz recht; leider aber erkennen die Indsmen diese Unterscheidung niemals an. Weiter! Sie sehen hier eine ganze Menge
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