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wir jetzt keine Zeit mehr haben", 131
murmelte mein Ehemann und sah so bekümmert aus, wie ich ihn noch nie gesehen hatte.
„Wow, toll. Das ist toll. Wirklich. Toll, euch zu sehen. Und eine tolle Überraschung! Und jetzt raus mit euch. Wirklich."
„Oooch, Mensch. Hast du mich denn gar nicht mehr lieb?"
Sinclair zählte unsere Gepäckstücke (um nicht in Versuchung zu kommen, Jessica zu erwürgen), Detective Nick war in der Lobby und Jessica und ich stritten im Flur vor unserem Hotelzimmer. Es war ein sehr hübscher Flur . .
purpurroter Teppich, goldene Tapeten, prächtige Wandlampen, gedämpftes Licht. Leider war ich so sauer, dass ich mich gar nicht daran erfreuen konnte.
„Freust du dich denn nicht wenigstens ein kleines bisschen, mich zu sehen?", drängte Jessica weiter. Ich riss meinen Blick von den Wandlampen los.
„Dieses bisschen ist so klein, dass es bedeutungslos ist. Also, haust du jetzt endlich ab?"
„Willst du nicht mit mir bei Macy's shoppen gehen?" Jessica hatte tatsächlich die Frechheit, gekränkt zu klingen.
„In der Mall of America haben wir auch ein Macy's", sagte ich kalt. Ebenso wie ein Bloomingdale's und ein Orange Julius. „Und da waren wir schon tausendmal."
„Hör mal, Betsy . ." Jessica versuchte ernst zu gucken, aber wie üblich war ihr schwarzes Haar so straff zurückgekämmt, dass sich ihre Augenbrauen nicht bewegen konnten. Es gelang ihr nur mit Mühe zu blinzeln. Ihre ebenholzfarbene Haut schimmerte selbst in der schwachen Flurbeleuchtung, aber nicht so, dass man sofort nach Puder hätte greifen wollen. Wie gewöhnlich war sie wunderschön, obwohl immer noch zu dünn nach ihrer Krebserkrankung. „Ich musste einfach kommen."
„Du musstest mir meine Flitterwochen verderben?"
„Bei dir hört sich das so gemein an."
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Ich legte die Hände auf den Rücken, weil ich sie sonst um den Hals meiner Freundin gelegt und zugedrückt hätte. „Es ist auch gemein, du Dumpfbacke!
Endlich schaffe ich es, Sinclair gegen seinen Willen vor den Altar zu zerren -
nachdem ich ihn vor dem sicheren Tod gerettet und ein Doppelbegräbnis durchlitten und die Verantwortung für Baby Jon übernommen und deinen Krebs geheilt habe -, und jetzt bin ich hier in New York, zum ersten Mal in meinem Leben, und will meine Flitterwochen genießen, da taucht plötzlich ihr beiden Idioten auf! Ist nicht persönlich gemeint .. "
„Hör mal .. " Weil ihr das gute Gehör von Vampiren wohlbekannt war, zog Jessica mich einige Schritte weiter den Flur hinunter. Ich verkniff es mir, sie darauf hinzuweisen, dass Sinclair, hätte er es gewollt, sie auch aus dieser Entfernung von unserem Zimmer aus hören konnte. „Ich weiß, es sieht so aus, als hätten wir euch reingelegt. ."
„Oh, sicher, Betsy, ihr könnt euch mein Flugzeug leihen, aber nicht vor morgen . . Damit hattet ihr ausreichend Zeit, vor uns anzureisen." Jetzt wollten meine Hände in meine Haare greifen und daran reißen - so fest es ging. „Und blöd, wie ich bin, habe ich dir auch noch unsere Adresse dagelassen."
„Nun ... ja ... aber das hat alles seinen Grund."
Ich blinzelte. „Ach ja. Und?"
„Und?" Jessica warf ihre knochigen Arme in die Höhe. „Und, sagst du?
Endlich finde ich einen Typen, der sich einen Dreck darum schert, dass ich stinkreich bin. Endlich finde ich einen Typen, der nicht gleich so sehr damit beschäftigt ist, sich in meine beste Freundin zu verknallen, dass er mich gar nicht bemerkt. Endlich .. "
„He, he!"
„Ach, sei still, du weißt, dass das stimmt. Endlich finde ich einen Typen, der mich um meiner selbst willen mag, und was
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ist? Er hasst meine beste Freundin und ihren Mann! Er findet sie nicht etwa langweilig oder dumm, nein, er hasst sie wirklich. So wie in ,Ich hasse Krieg'.
Oder ,Ich hasse die Pest'."
Ich atmete tief aus, was nicht wirklich notwendig gewesen wäre, aber ich war erst seit zwei Jahren tot und lieb gewonnene Gewohnheiten legt man nicht so schnell ab. Jessica log nicht. Sie übertrieb noch nicht einmal. Ihr Freund hasste mich tatsächlich, und das war ein Problem.
Als ich nämlich ein neugeborener Vampir gewesen und fast verrückt geworden war vor Durst, hatte ich mich an Nick gütlich getan. Und das ...
hatte ihn irgendwie austicken lassen, so sehr, dass er zu einem weinenden, sabbernden Häufchen Elend geworden war. Sinclair hatte eingreifen und Nicks Erinnerungen löschen müssen, sodass dieser vergaß, dass ich je tot gewesen war.
Wir hatten angenommen, dass es
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