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geklappt hätte. Aber wir hatten uns geirrt.
Vor einigen Monaten hatte er begonnen, sich wieder zu erinnern, doch wie alle Cops konnte Nick lügen wie gedruckt. Er hatte einfach abgewartet und beobachtet. Als Jessica krank geworden war, hatte er mir in allen entsetzlichen Einzelheiten erzählt, was er und seine Sig Sauer mit mir anstellen würden, wenn ich sie nicht heilte. Aber damals hatte ich andere Sorgen, und auch wenn es sehr beunruhigend gewesen war, zu erfahren, was er wirklich über mich dachte, hatte ich es doch hinnehmen müssen.
Ehrlich gesagt hatten sich danach die Ereignisse (die eben erwähnte Rettung, die Hochzeit, Jessicas wundersame Heilung) überstürzt und ich hatte nicht mehr an Nicks schwelenden Hass gedacht.
„Ich kann es nicht zulassen, dass der Mann, den ich liebe, meine beste Freundin hasst."
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„Also hast du dir gedacht, wir verbringen meine Flitterwochen zusammen und freunden uns wieder an?"
Jessica öffnete den Mund, um mir zu antworten, aber in dem Moment schwang unsere Zimmertür auf und ein Hotelpage (nun ja, eigentlich eher ein ausgewachsener Hoteldiener) in der purpurfarbenen Uniform, die alle Bediensteten hier trugen, trabte den Flur entlang auf uns zu. Er war ein Rotschopf mit großen Augen und einem Ziegenbart. Ziegenbärte waren nicht nach meinem Geschmack. Entweder man rasiert sich die Gesichtsbehaarung komplett ab oder aber man lässt sich einen anständigen Grizzly-Adams-Bart wachsen. „Mrs. Sinclair, möchten Sie, dass wir Ihre Schuhe in Seidenpapier einschlagen, oder .. "
„Ich heiße nicht Sinclair und gehen Sie weg", blaffte ich ihn an, wohl ein wenig zu heftig, denn sofort setzte er eine ausdruckslose Miene auf, drehte sich ruckartig herum, stieß die Tür zum Notausgang auf und verschwand.
„Na toll, jetzt wirft er sich wahrscheinlich in den Hudson", sagte Jessica missbilligend.
„Nicht mein Problem", knurrte ich und tat so, als würde ich mich nicht schuldig fühlen. „Willst du etwa behaupten, dass Nick es für eine gute Idee hielt, nach New York zu kommen?"
„Naja ..."
Ich verstand. „Aha. Hallo Nick, ich habe eine Superidee, wie wir deinen Erzfeinden eins auswischen können ... Wie wäre es, wenn wir vor ihnen im Hotel ankommen und ihnen in ihren Flitterwochen Gesellschaft leisten würden?"
Jessica streckte die Hände aus und grinste das Grinsen, dem ich noch nie hatte widerstehen können. Ich mahlte mit den Zähnen, in dem vergeblichen Versuch, nicht schwach zu werden. „Er hat gelächelt. Das war das erste Mal, dass ich ihn lächeln gesehen habe, wenn von dir oder Sinclair die Rede war.
Was hätte ich denn tun sollen?"
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Die Zimmertür öffnete sich wieder und Sinclairs Kopf kam zum Vorschein, was genauso alarmierend aussah, wie es sich anhört. „Wohin ist der Hotelpage gegangen?"
„Hoteldiener", korrigierte ich ihn freundlich.
„Hier drinnen habe ich zwanzig Paar Schuhe und ich weiß nicht, was du ..."
Seine Augen wurden schmal, als er Jessicas Grinsen sah. „Den Blick kenne ich.
Du gibst nach, nicht wahr?"
„Es ist ja nicht so, als wollten sie das Zimmer mit uns teilen", begann ich, aber mein Ehemann schnitt mir das Wort ab, indem er die Tür zuknallte.
Na toll.
Jessica hüstelte. „Sorry", flüsterte sie.
Das Abendessen fand in . . ähem . . einer recht steifen Atmosphäre statt. Nick war übertrieben fröhlich, weil er wusste, dass seine Anwesenheit uns ärgerte, Jessica versuchte den Friedensstifter zu spielen, ich stand unter Strom wie eine Katze, die sich die Pfoten verbrannt hatte, und Sinclair gab sich noch eisiger als gewöhnlich.
„Darf ich Ihnen eines unserer speziellen Desserts anbieten?" Zum fünfzigsten Mal glitt der Kellner an unserem Tisch vorbei. Er schien uns sehr spannend zu finden - kein Wunder, wir gaben auch genug Spannung ab, um ganz Manhattan zu erleuchten.
„Klar." Nick grinste. Er und Jessica waren natürlich die Einzigen, die gegessen hatten, während Sinclair ein Glas Cabernet nach dem anderen getrunken und ich mich durch vier Daiquiries gearbeitet hatte. „Dann mal raus mit der Sprache."
„Nun, wir haben eine köstliche Crème brûlée ..."
Im Gegensatz zu einer widerlichen Crème brûlée.
„.. einen Schokoladenkuchen, der ohne Mehl zubereitet wird, mit einer Minz-Haselnuss-Füllung, eine italienische Vanilleeis 135
creme, eine Pfirsichtarte und einen Mini-Eiskaffee, serviert in einer Espressotasse." Ich prustete los.
„Vorsicht, Miss Minnesota", murmelte Jessica und sah auf
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