0603 - Die Pestklaue von Wien
Monsieur Sinclair. Stellen Sie sich vor, die Hand würde hier hereinkommen und…«
»Wir haben sie bereits gejagt«, sagte ich.
Isabel saß da wie angewachsen. Sie starrte uns an und schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nein, das glaube ich Ihnen nicht. Nein, das kann nicht wahr sein.«
»Es ist wahr.« Suko weihte das Mannequin ein, das über seine Stirn strich, nickte und mit leiser Stimme sagte: »Jetzt weiß ich auch, was der Anrufer gemeint hat, als er sagte, daß die Hand wieder frei wäre. Nun ist mir alles klar. Sie wird wohl nicht mehr an ihren angestammten Platz zurückkehren – oder?«
»Daran glauben wir auch nicht.«
»Meine Güte.« Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. »Lieber Himmel, ich weiß nicht, was das soll? Was habe ich falsch gemacht? Weshalb werde gerade ich gejagt?«
»Darauf eine Antwort zu finden, ist unser Problem. Es muß etwas geben, daß Sie, Isabel, mit der Steinklaue verbindet. Eine andere Möglichkeit kommt für mich nicht in Betracht.«
»Was denn?« rief sie.
»Noch einmal. Woher stammen Sie?«
»Aus Frankreich, aus dem Süden.«
»Nizza, Cannes, St. Tropez?«
»Nein, weiter nördlich. Aus der Gegend von Toulouse.« Als sie sah, wie ich zusammenzuckte, fragte sie sofort nach. »Haben Sie etwas, Monsieur Sinclair?«
»Wieso?«
»Ich meine nur, Sie reagierten etwas ungewöhnlich, als hätten Sie einen Schreck bekommen.«
»Ich habe nur an etwas gedacht. Die Gegend um Toulouse kennen wir nämlich, aber nicht als Urlauber.« Ich dachte an die Templer, an den Ort Alet-les-Bains und an den blinde Abbé Bloch, der dort seine Heimat gefunden hatte, zusammen mit den anderen Getreuen. Sollte es da eine Verbindung geben?
An Sukos Gesicht erkannte ich, daß er sich mit ähnlichen Gedanken beschäftigte. Wir wollten nicht vorgreifen und vor allen Dingen nicht Isabel noch nervöser machen.
»Sind Sie denn zu meinem Schutz nach Wien gekommen?« erkundigte sie sich.
»Auch«, gab ich zu.
»Dann müßten Sie hier auch wohnen und mich auf Schritt und Tritt begleiten.«
»Das könnte so kommen.«
Sie wischte einen Tropfen von der blankpolierten Barplatte weg.
»Was ist, wenn ich nicht will? Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, daß es Ihnen gelingt, die Hand zu stoppen. Das ist für mich unmöglich, das will mir nicht in den Kopf.«
»Ich schlage vor, daß wir zunächst einmal abwarten, wie sich die Dinge entwickeln.«
»Und wenn es dann zu spät ist?«
»Bitte, seien Sie nicht zu pessimistisch. Wir wissen jetzt, daß die Hand existiert, und wir sind davon überzeugt, daß wir sie auch fassen können. Außerdem arbeiten wir eng mit Kommissar Walter vom Sicherheitsbüro zusammen. Auch er hat die Hand erlebt und ist sogar von ihr angegriffen worden, er glaubt es.«
Wie auf ein Stichwort hin erschien der Kommissar. Am Eingang zur Bar tauchte er auf, schaute sich kurz um, hob die Hand und kam sehr schnell näher.
Auf seine Wunde hatte er ein großes Pflaster geklebt. Er begrüßte Isabel, die beiden kannten sich ja, dann nahm er neben ihr auf einem Hocker Platz und schüttelte den Kopf.
»Was haben Sie?« fragte ich.
Walter mußte lachen. »Sie werden es nicht für möglich halten, Kollege, Sie werden staunen, aber ich habe tatsächlich eine Spur gefunden. Ich war in einem der Zentralarchive, habe mir alles über die Katakomben sagen lassen und bin sogar zu einem Ergebnis gekommen. Diese… die Hand hat eine Bedeutung, aber niemand weiß, wie sie da oben an die verdammte Decke gekommen ist.«
»Können Sie genauer werden?«
»Klar, aber erst brauche ich ein Wasser.«
Er bekam es, trank und schaute gegen das blitzsaubere Flaschenregal hinter der Bar. »Also, ich muß etwas ausholen. Sie alle wissen, daß im 17. Jahrhundert die Pest in Wien gewütet hat. Die Spuren sind noch in den Katakomben zu sehen. 1679 ließ Kaiser Leopold der Erste am Graben die Pestsäule errichten, er löste damit ein Gelöbnis ein, und die Pest in Wien wurde damals besiegt. Das nur zur Information. Wie gesagt, man hat, weil auf den Friedhöfen kein Platz mehr war, die Toten in die Schächte geworfen, wo sich die Pestleichen stapelten. Aber nicht immer waren es nur Pesttote, die diesen schrecklichen Weg fanden. Es gab auch welche, die man als unbequeme Gegner loswerden wollte. Und dazu zählte auch der Mann, dessen Hand unter der Decke eines Raumes in den Katakomben zu sehen ist. Man hat ihm die Hand abgehackt und ihn dann lebendig zwischen die Toten geworfen. Ich weiß, es klingt grausam, aber
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