0605 - Das Gespenst vom Tower
Mantel ausgezogen. An Conchita schaute er vorbei auf die graue Mattscheibe des Fernsehers. »Wenn er frei ist, mußt du damit rechnen, daß er den Weg findet.«
Sie beugte sich vor. »Zu uns, Großvater?«
»Wohin sonst?«
»Aber was haben wir mit ihm zu tun? Ich kenne ihn nicht.«
»Du bist eine Nunoz, und das reicht aus, meine Kleine. Denk immer daran, daß du zu unserer Familie gehörst. Ich bin froh, daß deine Eltern nicht im Hause sind.«
Conchita stand auf und räumte den Tisch ab. »Alles schön und gut, Großvater. Aber wir sind hier.«
»Das ist schlimm.«
»Für uns?«
»Auch für dich, mein Kind. Ja, es ist schlimm, daß du im Haus bist, denn er wird auf dich keine Rücksicht nehmen, das möchte ich dir noch gesagt haben.«
»Du meinst, er wird mich töten.«
»Er muß den Weg zu uns finden, denn er wird wissen, daß er aufgefallen ist und gejagt wird. Er wird gespürt haben, was ich tat, aber wir werden wachsam sein. Ich habe mit Luella gesprochen…«
Conchita lachte in seine Worte hinein. »Mit dieser alten Klatschtante?«
»Ich tat es nicht ohne Grund, mein Kind. Diese Nacht wird eine völlig andere werden. Niemand aus dem Viertel wird Schlaf bekommen, niemand, das kannst du mir glauben.«
»Aber die anderen wissen doch nichts davon.«
»Mittlerweile ja. Luella wird schon dafür sorgen. Ich möchte auch, daß niemand schläft, verstehst du? Nur so kann es uns gelingen, ihm die Stirn zu bieten.«
Conchita stand am Regal und dachte nach. »Meinst du wirklich, daß wir es schaffen?«
»Das kann ich nur hoffen.«
Sie nickte nachdenklich. »Ja, du hast recht. Man kann es nur hoffen. Wie sollen wir uns wehren?«
Nunoz wischte einige Krümel Weißbrot von der Tischplatte und schaute zu, wie die Reste zu Boden fielen. »Ja, wie sollen wir uns wehren?« murmelte er. »Ich kann es dir nicht genau sagen, aber wir werden wahrscheinlich Besuch bekommen.«
»Wann?«
»Noch in dieser Nacht. Ich rechne damit. Durch meine Aktionen habe ich endlich die richtigen Leute erreicht. Ich habe ihnen gesagt, wo ich wohne.«
»Polizisten, nicht?«
»Gut kombiniert, mein Kind.«
»Und was sollen die hier?«
»Ihn versuchen zu töten. Ich bin davon überzeugt, daß auch er zu uns kommen wird.«
Conchita schloß für einige Sekunden die Augen, weil ihr schwindlig geworden war. Der Gedanke daran, daß es ein lebender Toter auf sie und ihre Mitbewohner abgesehen hatte, gefiel ihr überhaupt nicht. Andererseits konnte sie sich auch nicht vorstellen, daß ihr Großvater log. Dazu war er viel zu ehrlich. Er wußte eine Menge, was den alten Zauber und die Magie des Voodoo anging. »Du hast ihn durch dein Trommeln erschreckt, nicht wahr, Großvater?«
»Und gleichzeitig gewarnt, mein Kind. Beides habe ich getan.« Er räusperte sich. Dann strich er über sein Haar. »Aber das spielt alles keine Rolle. Wir sind nur die Statisten, die Hauptpersonen sind andere, auch dieser Mörder.«
Conchita nickte ins Leere hinein. »Wie oft habe ich vor dem Tower gestanden! Ich habe mir seine Mauern und Türme angesehen. Ich war immer begeistert, aber ich habe nicht gewußt, daß er ein derartiges Grauen birgt.«
»Das ist vielen nicht bekannt.«
Sie kam vor und stützte beide Hände flach auf den Küchentisch.
»Ist er wirklich der einzige?«
»Ja.«
»Und er heißt Nunoz?«
»So wie wir, Conchita.«
»Dann ist er ein Verwandter!«
»Ein Ahnherr. Es ist eine schlimme Geschichte, die ich dir nicht erzählen möchte.«
»Weshalb nicht?«
»Weil ich auch nicht will, daß du hier in der Wohnung bleibst. Ich möchte dich nicht hier haben, wenn er kommt. Bitte, tu mir den Gefallen, verlasse das Haus.«
Conchita staunte. »Aber… aber wo soll ich denn hingehen?« hauchte sie.
»Zu deinem Vater. Setz dich in das Kino und kehre erst zurück, wenn die Sonne aufgegangen ist.«
»Nein, das mache ich nicht. Ich lasse dich nicht allein. Wenn er kommt, werde ich mich ihm stellen.«
»Und dann?«
»Ich… ich …« Sie geriet ins Stottern und schaute zur Seite.
»Du wirst ihn nicht vernichten können, weil er einfach zu stark ist, mein Liebling. Dieser Zombie hat im Laufe der Zeit Kraft getankt. Es gibt Menschen, die gingen in den Tower und kehrten nie mehr zurück. Weißt du, was das bedeutet?«
Conchita schluckte. »Ich kann es mir denken«, erwiderte sie mit leiser Stimme.
»Sie wurden zu seiner Beute.«
»Und die Polizei?« rief das Mädchen.
Der alte Mann hob die Schultern. »Die Polizei hat nichts unternommen,
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