0605 - Der Horror-Engel
nicht.« Nicole tippte an ihre Stirn. »Ich spüre an ihm etwas, das ich nicht einordnen kann. Der Mann ist… nun, nicht echt.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich kann seine Gedanken nicht lesen.« Dabei waren Nicoles telepathische Fähigkeiten immens stärker ausgeprägt als die von Zamorra. »Und da ist noch etwas anderes. Etwas, das ich zu kennen glaube, aber ich kann’s nicht genau erfassen. Wir sollten auf der Hut sein. Auf keinen Fall ist er ein Ureinwohner dieses Kontinents, und wenn er hundertmal so aussieht… Aber morgen kommt Shado hierher, und dann sieht alles hoffentlich ganz anders aus. Meinst du, daß du schlafen kannst?«
»Nötig haben wir den Schlaf wohl beide«, sagte Zamorra.
»Versuchen wir’s also.«
Aber Schlaf fanden sie erst nach langer Zeit, die sie aber nach längerem Grübeln und Diskutieren schließlich doch noch auf angenehme Weise zu nutzen verstanden…
***
Es wurde kritisch. Der Unsichtbare ahnte, daß der entflohene Gefangene ihn erkannt hatte. War er deshalb wieder geflohen?
Aber das konnte es nicht sein. Sie hatten sich nicht unmittelbar gegenübergestanden, und vor einem einzelnen Unsichtbaren wäre er auch sicher nicht geflohen.
Oder fürchtete er, daß sich noch andere in der Nähe befanden?
Nun, der Mann namens Zamorra war ein erstklassiges Werkzeug. Aus irgendeinem Grund besaß er eine enge Beziehung zu dem Flüchtigen. Aber er war nicht einfach zu lenken. Er war sehr starrköpfig.
Zamorra…
Der Unsichtbare grübelte über diesen Namen nach. Er war sicher, ihn schon einmal in einem anderen Zusammenhang gehört zu haben.
Aber wie auch immer, er wußte jetzt mit Sicherheit, daß er über Zamorra an den Flüchtigen herankam.
Die Investition, die er getätigt hatte, lohnte sich auf jeden Fall.
Er mußte nur etwas mehr Geduld aufbringen, um diesen Zamorra nicht noch mißtrauischer zu machen, als es dieser jetzt schon war.
Doch sich in Geduld zu üben, das war so nahe am Ziel nicht gerade einfach…
***
Lamyron hatte sich zurückgezogen. Er wollte kein Aufsehen erregen. Dort, wo sich der dämonische Verräter Zamorra jetzt befand, waren zu viele Menschen. Ein Angriff erschien dem jahrtausendealten Propheten daher nicht sinnvoll. Selbst wenn es nur um die Erbeutung des Amuletts ging.
Allerdings war Lamyron von seinem Vorhaben, Zamorra zu töten, noch längst nicht abgerückt.
Im Gegenteil. Es erschien ihm notwendiger denn je zuvor.
Aber es mußte an einem anderen Ort geschehen. Er mußte Zamorra von hier fortlocken.
Daß einer der Menschen ihn trotz der Dunkelheit zufällig gesehen hatte, erschreckte ihn. Die Menschen fürchteten ihn nicht, obwohl er doch für diese primitiven Wesen bestimmt sehr fremdartig aussah. Statt dessen waren sie aber neugierig geworden, und nur mit Mühe hatten einige von ihnen es geschafft, die Neugierde der anderen zu zähmen.
Das war für Lamyron eine interessante Erfahrung.
Vielleicht konnte er später Vorteile daraus gewinnen. Er mußte seiner Helferin davon erzählen.
Er flog zurück zum Versteck im Ayer’s Rock.
Doch seine blonde Verbündete… sie befand sich nicht mehr dort! Hatte sie ihn verlassen?
***
Das Frühstück war recht karg. Big Ben, der Wirt, betonte, es sei eine besondere Großzügigkeit, da Yeero dieses Frühstück nicht mitbezahlt habe.
»Geier«, murmelte Nicole bissig und knabberte an einem Stück Weißbrot, das sich auf dem besten Wege zur Versteinerung befand.
Kaum weniger fossile Merkmale zeigten die so kleinen wie dünn gesägten Wurstscheiben, und dem Wasser hatte der Wirt wohl von weitem eine vereinsamte Kaffeebohne gezeigt, dann hatte er es in die Kanne gefüllt, die er zusammen mit einem ebenfalls vereinsamten Zuckerwürfel und einer bereits im Rentenalter befindlichen Milchdose auf den Tisch stellte.
Um diese Vormittagszeit war die Straße menschenleer. Auch die Autos von gestern abend waren fort. Nichts deutete darauf hin, daß die ›Bar‹ zur Abendstunde zentraler Treffpunkt der gesamten weiträumigen Umgebung gewesen war.
Das Kaff wirkte trostlos, und der Unrat zwischen den Häusern und auf der staubigen Straße stank munter in der Morgensonne vor sich hin.
Fehlten nur die Ratten, aber denen war es in Ermangelung passender Sonnenbrillen wohl um diese Tageszeit zu hell im Freien. Vielleicht wollten sie sich auch nicht von der durchs Ozonloch knallenden UV-Strahlung lebend rösten lassen.
Zamorra und Nicole schauten sich nach dem Frühstück hinter der ›Bar‹ und auch beim
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