0608 - Das Böse kommt
und dachte wiederum daran, welche Kämpfe es um ihn gegeben hatte. Er war ein mystisches Projekt, das durch die Geschichte geisterte. Man hatte ihn gesucht, man hatte um ihn gekämpft, denn er war auch von den Templern verfolgt worden. Durch ihn konnte es ihnen gelingen, eine Spur zu dem geheimnisvollen Land Aibon zu finden. Für sie war der Gral sehr wichtig, aber die Baphomet-Templer hatten es nicht geschafft. Ich war schneller gewesen, nun befand er sich in meinem Besitz.
Meine Gedanken kehrten zu einer Person namens Lorenzo zurück.
Mir selbst war dieser Mensch unbekannt; Femina hatte sich in seine Arme geflüchtet und von ihm einiges erfahren. Er mußte für sie Lehrmeister und Geliebter gewesen sein. Er hatte sie in gewisse Dinge eingeweiht. Ich konnte mir gut vorstellen, daß auch über den Gral gesprochen worden war.
Die aus der Öffnung hervorschauende Kugel zeigte einen matten Glanz. Dunkelrotes Licht schien sie zu füllen, an einigen Stellen versehen mit langen Schatten.
Hineinschauen konnte ich nicht. Sie war auch nicht aktiviert, doch sie hatte trotzdem ihren geheimnisvollen Touch nicht verloren. Beim Ansehen schon war zu erkennen, daß sich hier ein Stück befand, das mit einer normalen Glaskugel nur das Äußere gemein hatte.
Auch Sukos Gesicht war ernst geworden. Seine Lippen hatten sich zu einem Lächeln verzogen. Er strich über seine Stirn und nickte mir zu. »Soll ich den Spiegel…?«
»Noch nicht. Ich möchte erst sehen, wie Femina reagiert, wenn sie den Gral sieht.«
»Rechnest du wirklich damit, daß sie ihn kennt?«
Ich hob die Schultern. »Bei ihr weiß man das nie. Dieser Fall, der so harmlos anfing, ist komplizierter, als ich gedacht habe. Ich weiß nicht, aber ich habe den Eindruck, vor einer Tür zu stehen, die wir nur aufzustoßen brauchen, um dahinter zu schauen.«
»Welche Tür, und was kann dahinter liegen?«
»Ein Geheimnis. Templer, Suko, was wissen wir über sie? Viel zu wenig bisher.« Ich sprach nicht mehr weiter, denn Femina hatte das Badezimmer verlassen und betrat den Wohnraum, umgezogen diesmal.
Janes Kleidung paßte ihr einigermaßen, auch wenn die Hose etwas zu lang war. Als praktisch denkende Person hatte Femina den Stoff der Hosenbeine hochgekrempelt.
Ich lächelte ihr entgegen. »Du siehst gut darin aus.«
Sie hob verlegen die Schultern. Ich stellte ihr Suko vor. Sie schaute meinen Freund so lange an, daß dieser schon fast verlegen wurde.
»Ist er ein Mongole?«
»Nein, ein Chinese.«
Femina überlegte. »Lorenzo erzählte mir von einem Reich im Osten, das Reich der Mitte genannt wurde. Dort sollten viele Menschen leben, die anders aussehen als wir. Wenn ich mich an Lorenzos Beschreibungen erinnere, so mußt du aus diesem Reich stammen.«
Suko nickte. »Das stimmt genau, meine Liebe. Ich komme aus China, dem Reich der Mitte.«
Er streckte ihr die Hand entgegen, die sie zögernd nahm. Femina fühlte sich unwohl, vielleicht schämte sie sich auch, das alles war nicht festzustellen.
»So«, sagte ich und trat zwei Schritte seitlich nach vorn. Ich wollte die junge Frau an den Gral heranführen. Bisher hatte ich ihn mit meinem Körper verdeckt gehabt, nun lag er frei. Femina konnte ihn sehen und bekam große Augen.
Natürlich fiel uns dieser Blick auf. Bevor wir eine Frage stellen konnten, gab sie selbst die Antwort. »Das ist er ja. Himmel, das ist der Dunkle Gral…«
***
Suko und ich schwiegen. Daß Femina den Gral sofort erkannt hatte, überraschte uns doch. Diese Person war gut informiert, dank ihres ausgezeichneten Lehrmeisters namens Lorenzo, vor dem ich innerlich den Hut zog.
»Du kennst ihn?«
Sie nickte einige Male heftig. »Und wie ich ihn kenne. Ich sehe ihn zwar zum erstenmal, aber ich erinnere mich noch genau an die Worte meines Lehrmeisters. Er hat von einem Dunklen Gral gesprochen, von diesem geheimnisvollen Gegenstand, um den es Kämpfe gegeben hat, weil viele ihn haben wollten, aber nur wenige auserwählt sind.«
»An was erinnerst du dich genau?« fragte ich.
Sie breitete die Arme aus. »Das ist schwer zu sagen, John, aber ein Begriff blieb mir im Gedächtnis haften. Er sprach hin und wieder über die Macht des Grals, und er gebrauchte einen Begriff, den ich nie vergessen werde – den Sohn des Lichts.«
Ich schluckte. Durch eine weitere Reaktion zeigte ich meine Überraschung nicht, denn ich wollte mehr aus ihr hervorlocken. Suko dachte ebenso, denn er hielt sich zurück.
Noch stand Femina auf dem Fleck. Unruhig und trotzdem
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