0608 - Das Böse kommt
voller Unruhe, was ihr deutlich anzumerken war, denn ihre Zungenspitze wanderte über die Lippen. »Darf ich?« fragte sie.
»Was möchtest du?«
»Ihn berühren.«
»Bitte.«
Sie bedankte sich mit einem Nicken. Sehr vorsichtig, als bestünde der Fußboden aus Eis, näherte sie sich dem Gral. Sie bewegte dabei zwinkernd die Augen, wir hörten sie scharf atmen, dann blieb sie so dicht neben dem kleinen Tisch stehen, daß dessen Kante sie berührte.
Mit beiden Händen strich sie an der Außenhaut des Kelchs entlang. Dabei gab sie einen flüsternden Kommentar ab. »Wunderbar fühlt er sich an, einfach wunderbar. Man muß ihn mögen, man muß ihn lieben. So hat ihn mir Lorenzo beschrieben.«
»Mit der Kugel?« fragte ich.
»Ja, mit der Kugel, John. Sie ist sehr wichtig für den Gral, denn sie gehört zu ihm.«
»Woher wußte er es?«
Femina drehte sich nicht um, als sie die Antwort gab. »Ja«, murmelte sie, »woher wußte er es? Ich kann es dir nicht sagen. Lorenzo gehörte zu den belesenen Menschen. Er ist eine Person gewesen, die genau Bescheid wußte. Er reiste viel, er hat alte Stätten besucht, er hat nach Büchern geforscht, nach Schriften und sie auch gefunden. Dabei beschäftigte ihn nur eines, der Orden.«
»Meinst du die Templer?« fragte Suko.
»So ist es, nur sie. Die Templer haben ihn fasziniert. Er wollte alles über sie erfahren.«
»Gehörte er selbst zu ihnen?«
»Weißt du, Suko, darüber sprach er nie mit mir. Ich habe ihn oft danach gefragt, doch keine konkrete Antwort von ihm bekommen. Die Templer haben ihn fasziniert, aber dem Orden selbst ist er wohl nie beigetreten, obwohl man es ihm anbot. Nur wollte er frei für seine Forschungen sein, das stand bei ihm immer an erster Stelle. Er wollte mehr herausfinden, denn er sprach immer von einem gewissen Geheimnis, das noch existierte, das er herausgefunden hatte. Andere wußten es, auch der Lord, denn er wollte es aus ihm herausfoltern, doch Lorenzo hat den Mund gehalten.«
»Wie schaffte er es, mehr über das Geheimnis zu erfahren?« erkundigte ich mich.
»Das war einfach. Durch den Spiegel, John. Der Spiegel war für ihn wichtig. Er gab ihm die nötigen Mittel.«
»Hat er mit dir über das Geheimnis gesprochen?«
»Ja und nein. Er deutete es an.«
»Was sagte er denn?«
Sie drehte sich zu mir um. Ihre Augen kamen mir groß vor. Verlegen wischte sie ihre Hände am Stoff der Hosenbeine ab. »Ich kann es euch nicht sagen, tut mir leid.«
»Du willst es uns nicht sagen.«
Sie nickte mir zu. »So ist es, denn ich habe es ihm versprochen, versteht ihr? Ich darf dieses Versprechen nicht brechen. Es ist einfach zu…« Sie hob die Schultern. »Nein, ich muß meinen Mund halten. Ich würde mich zu sehr schämen. Dann wäre ich tatsächlich eine Verräterin. Das müßt ihr verstehen.«
Wir verstanden es zwar nicht, aber wir akzeptierten es, und Femina wechselte das Thema. Sie sprach mich direkt an und fragte nach dem Sohn des Lichts.
»Bist du es?«
»Ja, ich bin es.«
»Dann wirst du der letzte sein, der den Dunklen Gral besitzt, und du hast auch das Kreuz. Beides ist zusammengekommen. Und wenn beides zusammenkommt, könntest du den Weg gehen, nach dem Lorenzo geforscht hat. Soviel ist mir bekannt.«
»Kannst du mir denn sagen, wie dieser Weg möglicherweise aussehen wird?«
»Ja. Er steckt voller Gefahren, denn er führt dich in die Weite der Welt. Davon hat Lorenzo immer gesprochen.«
»Die Welt ist sehr groß, Femina. Bitte, tu mir einen Gefallen und werde deutlicher.«
»Das kann ich nicht, auch Lorenzo hat nichts darüber gesagt. Zu meinem Schutz, wie er meinte. Manchmal kann Wissen nicht gut sein, er war ja erfahren.«
Feminas Worte hatten mich neugierig gemacht. Gleichzeitig wußte ich, daß sie mir keine Einzelheiten würde nennen können. Bis auf wenige Teile hatte sie alles gesagt, aber es konnte durchaus möglich sein, daß wir eine Spur mit Hilfe des Grals fanden.
»Weißt du denn, weshalb ich den Gral hervorgeholt habe?« wandte ich mich an sie.
»Nein… noch nicht.«
»Das will ich dir sagen, Femina. Als Kreuz und Spiegel zusammenkamen, veränderten sich die Zeiten. Da zogen sich Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Deshalb frage ich mich, was geschehen wird, wenn der Gral und der Spiegel aufeinandertreffen?«
Sie ging einen unsicher wirkenden Schritt zurück. »Willst du alles herausfordern?«
»Wieso?«
»Der Gral ist mächtig. In ihm steckt eine ungeheure Menge an Wissen. In meiner Zeit wurde von einem
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