0609 - Tiefsee-Mystik
noch. Wir machen immer Nägel mit Köpfen, deshalb verspreche ich, daß wir ihn ebenfalls zur Hölle schicken werden, und zwar sehr schnell.«
»Chris!« keuchte Kate. »Was habt ihr mit ihr gemacht? Was ist mit ihr? Reden Sie!«
»Wir haben sie.«
»Ja, aber…«
»Kein Aber, Süße. Sie ist gut aufgehoben. Wenn wir unseren Job erledigt haben, siehst du sie wieder. Okay?«
»Aber hören Sie doch…« Es hatte keinen Sinn mehr, zu reden. Die Verbindung war bereits unterbrochen worden.
Kate Tanner sah aus wie frisch gekalkt. Der Hörer rutschte ihr aus der Hand, ich fing ihn ab und legte ihn auf seinen Platz. Wie eine Schlafwandlerin schritt Kate zu ihrem Platz, wo sie sich niederließ.
»Sie haben meine Schwester, ja, sie haben sie.«
»Stimmt.«
»Und sie denken, daß Suko tot ist.«
»Ich tot?« meldete sich der Inspektor. »Dann muß dieser Knabe seine Kumpane angelogen haben.« Er lachte in wilder Vorfreude.
»Die werden sich wundern, wie tot ich bin.«
Ich winkte ab. »Bleib du mal ruhig, wir haben jetzt andere Probleme.«
»Ja!« meldete sich Kate. »Meine Schwester. Kann ich dem Anrufer vertrauen, daß sie noch am Leben ist?«
Die Frage galt mir, eine Antwort wußte ich auch nicht.
»Bluff, John?«
Ich wiegte den Kopf. »Wir sollten uns nicht auf die Worte des Anrufers verlassen.«
»Du rechnest damit, daß sie tot ist?«
»Es kommt auf die Pläne an. Wenn sie dich noch brauchen, werden sie deine Schwester als Druckmittel behalten.«
Kate Tanner überlegte. »Aber… aber«, stotterte sie. »Weshalb haben sie dann Chris nicht ans Telefon gelassen, damit ich ein Lebenszeichen von ihr höre?«
»Es ging eben alles zu schnell.«
»Nein, John, das glaubst du nicht, das glaubst du selbst nicht.«
»Warten wir es ab. Da gibt es noch ein anderes Problem. Der Anrufer hat versprochen, auch mich zu meinen Ahnen zu schicken. Das halte ich nicht für einen Bluff. Ich rechne damit, daß er es versuchen wird.«
»Wann?«
»So rasch wie möglich.«
»Dann könnte das noch in dieser Nacht geschehen?«
»Ich möchte es nicht von der Hand weisen.«
»Und was machen wir jetzt?«
Ich hatte mir darüber bereits Gedanken gemacht, und auch einen Plan. Zu deinem Haus, Kate, gehört ein großes Grundstück. Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich im hinteren Drittel eine Hütte entdeckt.
»Du meinst den Pavillon?«
»Richtig.«
Sie nickte. »Der steht dort tatsächlich. Sollen wir uns dorthin zurückziehen?«
»Es wäre eine Möglichkeit.«
»Dafür bin ich auch«, meldete sich Suko. »Es wäre nicht die schlechteste Operationsbasis.«
»Okay, dann laß uns verschwinden, aber im Haus bleiben einige Lichter an. Wir wollen sie doch locken…«
***
Das Wasser war eisig. Chris Tanner hatte, bevor sie eintauchte, noch einmal Luft geholt. Nicht bewußt, es war mehr instinktiv gewesen.
Dann spürte sie, wie sich der Ring aus Kälte um ihre Brust schloß und ihr alles raubte.
Das Gefühl, die Atmung und das Leben.
Es würde nur langsam aus ihrem Körper sickern. Es sei denn, sie öffnete den Mund, damit das Wasser hineindringen konnte und sie in den Tod riß.
Dazu hatte sie nicht den Mut. Während Chris von den schweren Ketten in die Tiefe gezogen wurde, hielt sie die Luft an und dachte sogar noch darüber nach, wie lange sie wohl überleben würde.
Eine halbe Minute, vielleicht auch eine?
Sie war nicht geübt, hielt die Augen weit aufgerissen und hatte das Gefühl, als würde ein Vorhang vor ihrem Gesicht immer weiter nach unten gezogen. Dabei war sie es selbst, die dem Meeresboden entgegensank und den Druck in den Lungen spürte. Das Hämmern hinter den Schläfen wurde lauter, die Finsternis dichter.
Es schossen ihr nicht einmal Todesgedanken durch den Kopf. Statt dessen dachte sie an einen Film, den sie vor kurzem gesehen und der sie unwahrscheinlich beeindruckt hatte.
Abyss – am Rand des Abgrunds!
Auch sie kam sich vor wie die Protagonisten in diesem Streifen, der neue Dimensionen erschloß, aber bei ihr war es ernst. Jeder Yard, der sie tiefer in das Dunkel des Meeres brachte, war ein weiterer Schritt in den Tod.
Wie tief das Wasser an dieser Stelle war, wußte sie nicht. Sie kannte auch nicht die Beschaffenheit des Bodens, war er glatt oder wellig.
Wuchsen dort vielleicht wahre Steingebirge, oder hausten dort in der erbarmungslosen Kälte irgendwelche geheimnisvollen Fische und Ungeheuer?
Davon erzählten die Einheimischen. Von Seeschlangen, von Riesenfischen, von Kraken und
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