0609 - Tiefsee-Mystik
Mörderwalen.
Ihre Gedanken trieben ab. Der äußere Druck nahm zu stark zu.
Hinzu kam der Mangel an Luft. Sie schaffte es einfach nicht mehr, den Mund noch länger geschlossen zu halten. Irgendwann mußte sie ihn öffnen, dann war es vorbei.
Ich will nicht sterben!
Es war ein innerlicher Schrei, ein gequältes Aufbäumen der Seele, was da durch ihre Psyche schoß. Eine furchtbare Angst hielt sie umklammert. Die Sucht nach dem Leben wurde wahnsinnig stark. Sie hielt die Augen offen, die Ketten rissen sie tiefer, die Dunkelheit des Meeres war absolut, hier drang kein Sonnenlicht hin, und sie glitt weiter in die schwarze Endlosigkeit hinein.
Jetzt mußte sie den Mund öffnen, sie konnte nicht mehr, aber sie hielt den Mund noch immer geschlossen. Vor ihrem Kopf entstanden rote Kreise, umwirbelten sie wie Planeten, und sie sah plötzlich das helle Licht, gegen das sie trieb.
Einbildung, Wahrheit?
Sie konnte es nicht sagen, aber da waren die langen Schatten, die das Licht durchstießen, sehr nahe an sie herankamen und sie plötzlich umklammert hielten.
Das Ende!
Chris konnte den Mund nicht mehr geschlossen halten. Sie öffnete den Mund, wollte sogar noch schreien.
Das kalte Wasser rann wuchtig in ihre Kehle, füllte alles darin aus, Schmerzen durchrasten ihre Brust. Irgendwo vor ihr explodierten Sonnen, der Tod griff nach Chris Tanner, aber er sprach gleichzeitig zu ihr mit einer sanften, sehr weichen Stimme, die ihr fremd und geheimnisvoll, gleichzeitig aber vertraut vorkam.
»Es wird alles gut, meine Liebe – alles wird gut…«
Chris Tanner begriff nichts mehr…
***
Der Pavillon entpuppte sich als ein ausgezeichnetes Versteck, denn er stand in guter Deckung. Die Bäume hatten zwar das meiste Laub verloren, trotzdem mußte man genau hinschauen, um ihn entdecken zu können. In der Dunkelheit war es noch schwieriger, zudem hüteten wir uns, Licht zu machen.
Der kleine, nach vorn hin offene Rundbau war auch möbliert. Helle Korbsessel luden zum Verweilen ein, und Suko war der erste, der sich niederließ.
»Noch immer kaputt?« fragte ich.
Er winkte ab. »Allmählich geht es.«
»Wunderbar. Dann kann die Bande ja kommen.«
»Ich könnte auch auf sie verzichten«, sagte mein Freund. »Du mußt dir eines merken, John. Diese Kerle kennen kein Pardon. Sie sind grausam, sie rechnen mit jedem ab, der sich ihnen in den Weg stellt. Und sie sind bereit, sofort zu töten. Das finde ich besonders schlimm. Sie nehmen keine Rücksicht.«
»Das kann ich mir denken.«
Kate Tanner sagte nichts. Sie hatte ebenfalls ihren Platz eingenommen und die Beine ausgestreckt. Ihr Blick glitt ins Leere. Das Gesicht hatte sie abgedreht.
Wir wollten sie auch nicht ansprechen, denn ihre Gedanken drehten sich bestimmt allein um ihre verschwundene Schwester. Aber sie redete plötzlich von selbst, und zwar über ein anderes Thema. Wir hatten uns beim Essen damit beschäftigt.
»Wollt ihr wirklich nach dem Schatz der Templer tauchen?« erkündigte sie sich.
Suko schaute mich überrascht an. Ihm war über unser Gespräch nichts bekannt.
Ich antwortete mit einem schlichten »Ja.«
»Wann?«
»Ach weißt du, Kate, zunächst werden wir uns um deine Schwester und die Killer kümmern. Das ist wichtiger.«
»Danke.«
Sie schwieg wieder, doch es war ein anderes Schweigen geworden, sehr nachdenklich wie mir schien.
»Worüber denkst du nach, Kate?«
»Über die Templer.«
»Das ist ein weites Gebiet.«
»Ja, stimmt.« Sie nickte, bevor sie den Kopf hob. »Weißt du eigentlich, John, daß auch ich daran glaube?«
»An die Templer oder an den Schatz?«
»An beide.«
»Oh, das überrascht mich!«
»Es ist so. Ich habe nie damit gerechnet, auf Männer wie euch zu treffen. Der Schatz hat mich fasziniert, er fasziniert jeden. Ich habe mich erkundigt, man vertraute mir, aber es gab immer nur Andeutungen, wie ich dir schon sagte.«
»Wenn du ihn suchen müßtest, dann wüßtest du aber, wo du anfangen würdest.«
»Ja.«
»Dürfen wir das wissen?« erkundigte sich Suko.
»Ich überlege noch, doch ich tendiere zum Positiven. Ich habe euch erlebt, ich weiß jetzt instinktiv, daß ich euch vertrauen kann. Ja, ich werde euch vertrauen. Ihr seid wirklich anders, und ich glaube jetzt auch den Worten, die du mir während des Essens erzählt hast, John. Wahrscheinlich ist dein Leben sehr kompliziert, ich bin auch nicht so versessen, um dich zu bitten, daß du es vor mir ausbreitest wie auf einem Tuch, aber ich schenke dir
Weitere Kostenlose Bücher