0614 - Der Clan der Wölfe
ihm die ganze Situation recht abstrus. Da stand er mit Nicole im Wohnzimmer einer dämonischen Kreatur und unterhielt sich mit diesem Dämon in aller Gemütsruhe…
»Sie beide sind Wölfe. Warum wollen Sie Ihren Artgenossen ans Messer liefern? Und wenn er Ihnen aus irgendeinem Grund im Wege ist, vielleicht Ihr Revier verletzt - warum töten Sie ihn nicht selbst?«
»Ich würde gern Ihnen diese Ehre lassen. Sie haben recht, Professor. Loret ist mir gewaltig im Wege. Wenn Sie ihn töten, erweisen Sie mir und vielen einen großen Gefallen.«
Zamorra hob die Augenbrauen. »Und wenn ich Sie töte?«
»Würden Sie nicht einmal sich selbst einen Gefallen erweisen. Draußen ist die Polizei. Ich bin absolut sicher. Man würde Sie verhaften und in die gleiche Anstalt sperren, in der schon jener arme Mensch sitzt, der mich durchschaute und so verrückt war, mich öffentlich anprangern zu wollen.«
Er legte Zamorra die Hand auf die Schulter. »Wer«, brummte er verschwörerisch, »glaubt denn heutzutage noch an Werwölfe und Gespenster? Wo doch jeder weiß, daß in einer wissenschaftlich aufgeklärten Welt so etwas nur noch in Märchen und uralten Legenden Platz findet, die man sich zur Geisterstunde bei Kerzenschein erzählt, um bei Tageslicht dann darüber zu lachen. Der Stoff, aus dem die Filme sind, Zamorra… aber doch nichts für die Wirklichkeit!«
Zamorra nickte widerwillig.
Der Wolfsdämon hatte recht.
Hier und jetzt war er vor Zamorra absolut sicher!
Harowic trat zu einem Schrank und öffnete ihn. Dahinter befanden sich Gläser und Flaschen mit hochgeistigen Getränken. »Darf ich Ihnen etwas anbieten?« erkundigte er sich. »Es ist garantiert nicht mit Betäubungsmitteln oder tödlichen Giften versetzt. Und das hier ist Rotwein, kein Menschenblut. Solche Extravaganzen erlaube ich mir nur, wenn ich gelegentlich jage.«
Zamorra preßte die Lippen zusammen. Harowic kostete seinen Triumph aus. Er wußte genau, daß er nichts, Zamorra aber alles riskierte. Ein Blick durch das Fenster nach draußen verriet, daß sich dort immer noch die beiden Polizeiwagen befanden. Die Blaulichter blitzten nicht mehr, aber die Beamten schienen nur darauf zu warten, daß etwas passierte.
Einer von ihnen inspizierte Zamorras BMW von außen und innen. Vermutlich wunderte er sich sowohl über das Visofon-Terminal als auch über das Transfunk-Gerät, das das ›normale‹
Autotelefon ersetzte.
Zamorra überlegte sekundenlang, ob er gegen diese Durchsuchung protestieren sollte. Aber wozu? Es gab nichts an dem Fahrzeug, das illegal war - höchstens einiges Seltsame an Sonderausstattungen. Wie eben die Kommunikationseinrichtungen.
Außerdem waren diese insgesamt vier Polizisten vermutlich dem Herrn Bürgermeister hörig. Zamorra war sicher, daß es sich um dessen ganz persönliche Schutztruppe handelte.
Möglicherweise sogar um die Maskierten, die ihn gestern auf dem Heimweg von Feurs in den beiden gemieteten Renaults abgefangen hatten…?
Zumindest waren sie aber menschlich. Denn sonst hätte das Amulett auf sie reagiert, und sie selbst hätten ein paar Problemchen damit bekommen, Zamorra zu entwaffnen. Das Amulett hätte ihre Annäherung als einen magischen Angriff registriert und Abwehrmaßnahmen ergriffen.
Aber warum sollte ein Dämon sich nicht menschliche Diener leisten?
»Wenn du in die Höhle des Zwerges gehst, iß und trink nichts von dem, was er dir anbietet«, sagte Nicole.
»Sie wollen mich doch nicht ernsthaft mit einem Zwerg vergleichen, Mademoiselle?«
»Es ist ein altes Sprichwort unter uns Menschen.«
»Sie erlauben aber sicher, daß ich mich bediene«, sagte Harowic. Er schenkte sich Wein ein und setzte auch die Zigarre wieder in Brand. Dann ließ er sich in einen der Ledersessel fallen.
»Wollen Sie wissen, wo Sie Loret jetzt finden können? Nicht in Lyon, auch nicht an einer seiner anderen Adressen. Aber Sie können ihn noch erreichen, wenn Sie sich beeilen. Es gibt ein Treffen. Dort bespricht er sich heute Nacht mit zwei anderen Mitgliedern des Lorett-Clans. Vielleicht reizt es Sie auch noch, daß Lorett Ihnen sagen kann, wo sich Zia Thepin aufhält. Die suchen Sie doch, oder?«
Zamorra und Nicole wechselten einen schnellen Blick.
Zia Thepin, die Werwölfin, die nicht töten wollte… die durch einen Fluch gezwungen wurde, Werwölfin zu sein, und die gegen ihren Willen töten mußte! Einmal hatte Zamorra schon gehofft, den Fluch gebrochen zu haben. Aber er hatte sich geirrt. Der dunkle Keim war
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