0617 - Das Blut der Mumie
wirst ihr Blut spüren, warte es ab.« Ibrahim zupfte fünf Nadeln aus dem Etui.
Der Reihe nach reichte er sie der Mumie. Obwohl deren Finger ebenfalls von Bandagen umwickelt waren, schaffte sie es doch, die Nadeln zu halten.
Ibrahim trat zurück. Zuvor hatte er seinen beiden Helfern einen Wink gegeben, die rasch herankamen und die Frau in die Höhe zerrten. Ann stand auf den Beinen, ohne sich allerdings halten zu können. Wären die beiden nicht gewesen, dann wäre sie gefallen.
Vergeblich suchte sie nach Gnade in den Gesichtern. Da war nichts zu machen. Die Züge blieben eiskalt und ohne Ausdruck. Die Männer waren darauf trainiert, Befehle auszuführen.
Die Katze hockte noch immer auf der Schulter der Mumie. Ann erinnerte sich daran, daß sie zu ihr gekommen war. Dabei war sie um ihre Beine gestrichen, und die Frau konnte sich vorstellen, daß sie ihre Situation auch dem Tier zu verdanken hatte. Es mußte sensitiv veranlagt sein und hatte die Botschaft womöglich an die Mumie weitergereicht.
»Nehmt den Sessel!« befahl Ibrahim.
Die Helfer reagierten sofort. Sie schleiften Ann über den Teppich bis zu dem kantigen Ledersessel, der geometrische Formen aufwies.
Dort wurde sie hineingedrückt, mußte ihre Arme auf die Lehnen legen und spürte auch den Druck ihrer Hände. Ihre beiden Bewacher blieben hinter ihr stehen, hielten sie fest und würden ihr keine Chance mehr geben.
Ebenso leise wie eine Katze bewegte sich auch Ibrahim Sale durch das Zimmer. Ihn störte das viele Licht. Er knipste die meisten Lampen aus und ließ nur die in der Nähe des Sessels brennen. Es war eine moderne Bogenleuchte, die ihren Schein nicht nur in eine Richtung ausbreitete. Sie erfaßte Ann Tobey und auch die Mumie.
Beide sahen sich!
Ann zitterte innerlich vor Angst. Das Gesicht der Gestalt kam ihr noch schrecklicher vor. Der freie untere Teil wirkte wie alte Rinde, auf der ein grünlicher Schimmel klebte. Im Kontrast dazu standen die gelb-beigen Binden am linken Unterarm. Es war nicht genau zu erkennen, weshalb sich dort eine Wunde befand, doch Ann konnte sich gut vorstellen, daß jemand versucht hatte, die Hand oder einen Teil des Arms einfach abzuhacken.
Das rote Auge ließ sie nicht aus dem Blick. Es kam Ann vor wie ein tiefer, mit Blut gefüllter Schacht, in dem es gloste und vibrierte.
Unheimlich sah das Auge aus.
Die Mumie ging wieder vor. Noch immer hatten sich ihre Bewegungen nicht verändert. Nach wie vor wirkten sie hölzern, als würde jeder Schritt bei ihr schmerzen.
Die rechte Hand hatte sie zur Faust geschlossen. Aus ihr allerdings schauten die Nadeln hervor.
Ann Tobey erlebte einen fürchterlichen Horror. Für sie war die Mumie ein auf Mord programmierter Roboter, den niemand mehr aufhalten konnte. Sie hatte den Weg einmal genommen und würde ihn weitergehen. Eine Aura des Schreckens ging von ihr aus. Etwas, das vor Tausenden von Jahren entstanden war, hatte auch in dieser Zeit noch Bestand.
Der alte Schrecken blieb…
Ibrahim hielt sich im Hintergrund. Er stand im Halbdunkeln. Seine Gestalt sah aus wie der mächtige Schatten eines Vampirs. Kein Laut drang über seine Lippen, selbst das Atmen fiel in der drückenden Stille nicht auf.
Anns Angst wuchs. Bisher hatte sie über Todesangst nur gelesen.
Nun merkte sie, was es heißt, wenn dieser Druck im Körper eines Menschen steckte.
Sie drückte bei ihr alles zusammen. Das Herz schmerzte, der Magen ebenfalls, das Blut rauschte durch die Adern, es hämmerte hinter ihrer Stirn, und sie war auch nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihr Bewußtsein war weggespült worden, nur der fürchterliche Druck des Alps hockte auf ihrer Brust.
Dann hatte die Mumie sie erreicht. Sie blieb so dicht vor der Frau stehen, daß ihre Knie Ann beinahe berührten. Mit der blutenden, verletzten Hand zog sie eine Nadel aus der Faust hervor.
»N… nein …!« keuchte Ann, weil sie damit rechnete, daß die Mumie ihr die Nadel in den Körper stoßen würde.
Das tat sie nicht!
Ann schaute zu und glaubte, verrückt zu werden. Die Mumie brachte die Nadel dicht vor ihr Gesicht, genau in Augenhöhe, und stieß sie in den blutenden Schacht.
Für Ann Tobey verschwamm die Welt. Sie fühlte sich weggetragen, tatsächlich aber preßten die Hände der Bewacher ihre Arme gegen die Sessellehnen.
Das Gesicht der Mumie verschwand vor ihren Augen. Nur der tiefrote Fleck des Auges blieb zurück, aus dem das alte Monstrum die Nadel wieder hervorzog.
Jetzt war die Spitze
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