0622 - Gehirn in Fesseln
sie lagen weit außerhalb der Bandbreite eines menschlichen Auges. Rhodan stellte durch einen Gedankenbefehl die Linsen deutlicher ein und sah sich selbst, also seinen Körper, der noch immer an der alten Stelle stand, eingehüllt in das Fesselfeld. Für einen Augenblick verdrängten die Überlegungen angesichts der neuen Möglichkeiten die Furcht, aber dann erkannte Rhodan in einem weiteren Schock, daß dort sein Körper stand, die Hülle einer Marionette, denn das Hirn und der Verstand waren die eines Androiden, der dem Anti-ES gehorchen würde. Rhodan sah sich selbst verblüfft an, das Bild war anders als in einem Spiegel sichtbar.
Darin, nach einigen Sekunden Wartezeit, identifizierte das isolierte Gehirn andere Umstände.
Der Transmitter hat uns in einen anderen, wenn auch sehr ähnlichen Felsenraum geschleudert. Welche Möglichkeiten besitzt dieser de Lapal eigentlich? Er hat zwei Verstecke im Fels des Südpols geschaffen - wann, mit wessen Hilfe? Und völlig unbeobachtet von den terranischen Überwachern!
Die zweite Felsenhöhle, in der das dritte Transmittergerät stand, war würfelförmig. Sie erinnerte weitaus mehr an ein Versteck, an eine Schaltzentrale kleineren Ausmaßes als der kuppelförmige Raum, aus dem der Transmitter den Rhodan-Behälter und den Rhodan-Androiden geschleudert hatte.
Dort drüben stand er!
Der „echte" Rhodan, also der vertraute Körper mit allen seinen Narben und Nerven, Adern und Haaren. Und mit einem Gehirn, das mit Rhodans Gehirn identisch war, aber nach anderen Maximen handeln würde. Eben handeln wie ein Sklave, aber wie ein hervorragender, kluger, hochtalentierter Sklave, denn dieses ausgewechselte Gehirn besaß Rhodans gesamtes Wissen, alle seine Erinnerungen und sämtliche Kenntnisse.
Eine solche Technik war ihm unbekannt. Auch sämtliche Wissenschaftler, die sich mit einschlägigen Problemen beschäftigten, hatten immer wieder versichert, daß ein Austausch in einer solchen Perfektion nahezu unmöglich war. Zwar waren in einigen Fällen die Hirne einzelner Terraner geborgen und in Robotmechanismen integriert worden; die Cyborg-Technik war weit entwickelt. Aber ein derart schmerzloser und „unproblematischer" Austausch, dazu noch in der Kürze oder besser Zeitlosigkeit eines Transmittersprunges, war eindeutig das Werk eines übergeordneten Lebewesens mit schrankenlosen Möglichkeiten.
Jetzt mußte Rhodan (sein echtes Gehirn dachte dies!) glauben, daß Markhor de Lapal vom Anti-ES unterstützt und dirigiert wurde. So wie jener Rhodan dort drüben, einige Meter entfernt, der vertraute Körper mit dem fremden Verstand.
Rhodans Gehirn sah: Die Kontrollbildschirme an den Wänden dieses Würfels zeigten Abbildungen von der Oberfläche. Auf den kleinen Monitoren leuchteten die Schneeberge, die Eisflächen, einzelne Bauwerke der terranischen Elitetruppen, die gelandeten Raumschiffe im Hintergrund, und das deutlichste und schärfste Bild zeigte den Nullzeit-Deformator.
Also auch noch eine Kamera irgendwo außerhalb des Deformators selbst! Oder zapfte de Lapal mit seiner unglaublichen Technik eine terranische Bildfunkleitung direkt an?
Schon möglich.
Das rotglühende Nullzeit-Energiefeld hatte sich bereits geschlossen. Die Maschinen mußten auf vollen Touren laufen.
Offensichtlich stand der Sprung des Geräts dicht davor.
„Ich habe also keine Chancen mehr, hier herauszukommen!"
sagte Perry Rhodan.
Er hatte gesprochen. Der Wille und die Absicht, etwas zu sagen, hatten einen künstlichen Kehlkopf eingeschaltet. Die Mikrophon-Ohren des Gehirns hatten den Schall mit unmerklicher Verzögerung aufgefangen, umgesetzt und dem Verstand wieder als Satz eingegeben.
„Du hast keine Chancen mehr. Das ist richtig!" erwiderte der falsche Rhodan. Er lächelte hinunter in die Linsen.
„Er sagt die Wahrheit!"
Zwei Stimmen. Der Androiden-Verstand im Rhodan-Körper hatte gesprochen, und nach einem kurzen, krachenden Geräusch kam Markhor de Lapal aus einem anderen Transmitter, der im Hintergrund des Raumes hinter einer hochkant gestellten Felsenplatte arbeitete.
Rhodan dachte einen Befehl.
Die Linsen und die Mikrophone richteten sich weitaus schneller, als es einer Kopfbewegung des alten Rhodan-Körpers entsprach, auf das neue Ziel ein. Rhodan sah de Lapal, der die flachen Stufen herunterkam. Der Fremde ging auf ihn zu und verdeckte dadurch nacheinander die Hälfte der Monitoren.
Mit der Stimme, die er eindeutig als seine eigene identifizieren konnte, fragte der isolierte
Weitere Kostenlose Bücher