0622 - Gehirn in Fesseln
Eine größere und furchtbarere Gefahr schob sich hinter allem hervor und griff nach ihm, griff nach Terra und dem Solaren Imperium und darüber hinaus nach den Lebewesen von vielen Galaxien. Die gewaltige Größe dieser Gefahr lähmte Rhodan, aber seine Gedanken überschlugen sich.
„Ich weiß jetzt, wer an allem schuld ist!" sagte er leise.
Die Rettung der Menschheit durch das tollkühne Nullzeit-Experiment war eigentlich eine Panne innerhalb eines gigantischen Planes gewesen. In diesem Plan war das Unglück die wesentliche Komponente.
Rhodan - und natürlich auch Markhor de Lapal - wußte jetzt, wem er die Unglücke der letzten Zeit zu verdanken hatte. Wenn die Götter der Antike sich stritten, litten die Menschen dieses Zeitalters. So wie in den Sagen der Alten war es auch hier. Seit dem Schock, den der Eintritt in die Parallelwelt verursacht hatte, handelten sie alle gegen dieses rätselhafte Anti-Lebewesen.
Anti-ES war es gewesen, das die Katastrophen über die Menschheit heraufbeschworen hatte. De Lapal war nichts weiter als ein Werkzeug. Allerdings ein sehr gutes, fein geschliffenes Werkzeug mit allen nur denkbaren Fähigkeiten und Kenntnissen.
Anti-ES hatte ihm zugesichert, daß alle seine Wunschträume zu realisieren wären. Daraufhin hatte sich der Terra-Nachfahre in einen Agenten des Bösen verwandelt.
„Sie wissen es!" sagte de Lapal. „Aber das Wissen wird Ihnen nichts nützen. Sie sind in wenigen Minuten ein anderer. Vielleicht bezeichnen Sie mich in Ihren Gedanken als williges Werkzeug.
Nun, wenn das zutrifft, dann werden Sie sich ebenfalls in ein Werkzeug verwandelt haben."
Rhodan starrte hinunter auf das Gehirn, dessen Kommunikationsgeräte der Unterhaltung anscheinend ununterbrochen gefolgt waren.
„Das ... Gehirn...?" stotterte er.
„Richtig. Einige Worte zur Erklärung?" fragte de Lapal.
„Vielleicht macht er einen Fehler. Ich muß ihn aufhalten!" sagte sich Rhodan, obwohl er ahnte, daß alle seine Versuche sorgsam einkalkuliert worden waren. In Wirklichkeit besaß er vermutlich nicht die geringste Chance, diesem Netz zu entkommen.
„Ja, bitte!" sagte er tonlos.
In sachlichem Tonfall erklärte Markhor: „Dieses Gehirn ist hergestellt worden. Mein mächtiger Verbündeter verfügt über Möglichkeiten, die selbst ich nur ahnen kann. Das Kunstgehirn besitzt alle denkbaren Fähigkeiten. Das Spektrum reicht dabei von Ihrer unbestrittenen geistigen Kapazität bis zur Adaption von Hyperschwingungen. Es wird nicht einmal einem Mutanten gelingen, dieses Gehirn von Ihrem Gehirn zu unterscheiden ... nachher!"
Nachher?
Noch niemals in seinem langen Leben hatte sich Rhodan derart niedergeschlagen gefühlt. Das kam daher, weil er den Weg ins Verderben ziemlich klar vor sich sah und gleichzeitig wußte, daß er sich nicht würde wehren können. Hier fing es an, und niemand konnte ahnen, wo es aufhören würde. Aber der Weg, den Markhor de Lapal als Werkzeug des Anti-ES hier einschlug, führte in den Untergang.
„Was heißt ,nachher'?" fragte Rhodan.
Er brauchte auf die Antwort nicht lange zu warten. Nach einem Blick auf die Kontrollinstrumente der Halle fuhr de Lapal fort: „Fremde Wesen, die selbst ich nicht genau kenne, haben eine überraschende Art der Transplantation entwickelt. Mit dieser neuartigen Version kann man unter bestimmten Umständen jedes Organ eines Körpers austauschen, sogar ein Gehirn. Ich nenne diesen Vorgang Parareguläre Gleichheits-Transplantation.
In allen Fällen, wo eine Operation in klassischer Manier undenkbar ist - also auch bei Ihnen, Großadministrator! -, wird das PGT-Verfahren angewandt. Auch ist das neue Verfahren narrensicher. Es ist die absolute Perfektion! Mit einer besonderen Technik werden zwei Organe ausgetauscht. Sie wurden vor der Transplantation biologisch und, im Falle von Gehirn oder Rückenmark, auch schwingungsenergetisch aufeinander abgestimmt. Dann werden sie zusammen und auch gleichzeitig entmaterialisiert."
Rhodan ächzte auf.
„Das ist ein teuflisches Verfahren!" rief er.
„Das den Vorteil besitzt, auch von Laien angewendet zu werden und trotzdem erfolgreich bleibt!" erklärte Lapal ernst.
„Das haben Sie mit mir vor?"
Markhor nickte kühl und unbeteiligt. Für ihn war dies nur ein wissenschaftliches Experiment, dessen positiver Ausgang im vornherein feststand.
Sein Verschwinden war bemerkt worden, wußte Rhodan. Er hatte als letzten Eindruck das Gesicht seines Freundes hinter der Sichtplatte der Schleusentür bemerkt.
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