0623 - Odyssee des Grauens
ebenfalls.«
»Weißt du etwas über den Fluch?« fragte Zamorra geradeheraus.
»Ja«, sagte Tap. »Es ist ein Fluch, daß wir das Zeug nicht faßweise an Bord haben und entsprechend trinken können. Stellt euch vor - ein ganzes Faß voll Rum, das nie leer wird, und von dem man nie betrunken wird, egal, wieviel man trinkt… und…«
Zamorra winkte ab. »Ich sprach von dem Fluch, unter dem dieses Schiff seit Ewigkeiten zu fahren scheint und niemanden losläßt, der an Bord kommt…«
»Die Rumflasche ist, wenn alles andere stimmt, vielleicht nur eine Illusion«, überlegte Nicole. »Wir glauben daraus zu trinken, tun es aber nicht. Deshalb gibt es auch keine Trunkenheit. Wir trinken nicht wirklich. Das würde mit den anderen Vorgaben übereinstimmen.«
»Ach, das ist alles ziemlich dummes Zeug«, brummte der Steuermann. »Ich glaube nicht so richtig daran. Ich trinke, also bin ich.«
»Das ist wirklich ziemlich dummes Zeug«, sagte Zamorra kopfschüttelnd.
Er erhob sich und verließ die Kabine des Steuermanns. Nicole folgte ihm.
»Komisch«, sagte sie. »Jeder, den wir auf den Fluch ansprechen, versucht, dem Thema irgendwie auszuweichen. Und Tap schafft das sogar auf sehr penetrante Weise.«
»Ein Verdrängungsmechanismus«, vermutete Zamorra. »Sie wollen nicht über ihr Schicksal nachdenken. Sie können nichts daran ändern, sie sitzen hier fest, und warum sollen sie dann noch darüber reden? Wir reden ja auch nicht über das Zubinden von Schnürsenkeln unserer Schuhe oder von Tag und Nacht - es geschieht einfach. Sie haben sich daran gewöhnt, schieben es von sich und versuchen das Beste daraus zu machen. Was bedeutet, daß sie einfach vor sich hin leben und ihr Schicksal ignorieren.«
»Vielleicht weiß der unsichtbare Kapitän mehr. Wir sollten versuchen, mit ihm zu reden«, schlug Nicole vor.
Aber sie fanden ihn nicht.
Vielleicht existierte er tatsächlich nur in der Einbildung dieser zusammengewürfelten Mannschaft. Oder er besaß eine Möglichkeit, sich nicht nur unsichtbar, sondern auch noch völlig ungreifbar zu machen. Zamorra und Nicole ließen äußerste Sorgfalt walten, aber in keiner einzigen der Kajüten entdeckten sie den Unsichtbaren. Dabei griffen sie beide ziemlich tief in die Trickkiste, und Zamorra setzte darüber hinaus auch noch Amulett-Magie ein. Aber auch damit konnte er den Kapitän nicht aufspüren.
Er glaubte den Araber spotten zu hören: Habe ich euch nicht gesagt, daß der Kapitän nicht gestört werden darf? Er entzieht sich selbst jeder Störung…
Aber Sadr war nicht in der Nähe, sein Spott Einbildung.
»Was nun?« fragte Nicole und sah zum Sternenhimmel hinauf.
Zamorra seufzte.
»Jetzt ziehen wir uns erst mal in unsere Unterkunft zurück«, schlug er vor, »und schlafen ein wenig.«
»Schlafen?« schmunzelte sie. »Jetzt schon? Wollten wir nicht die Belastbarkeit der Hängematten testen?«
Aber denen traute Zamorra nicht über den Weg, nachdem er das Material sorgfältig geprüft hatte. Für eine Person mochte so eine Matte stabil genug geflochten sein. Beide hegten sie aber andere Absichten, als jeder allein für sich in einer der Matten zu liegen, die durch ihre Aufhängung auch stärkere Schaukelbewegungen des Schiffes abfangen konnte - deshalb waren diese Hängematten überhaupt erst von Seeleuten erfunden worden, die es satt hatten, bei jedem leichten Wellengang durch das Krängen des Schiffes aus der Koje zu fliegen…
Doch die See war ruhig, und weder Zamorra noch Nicole sahen Bedenken, ihr Lager auf dem Boden einzurichten, Decken übereinanderzulegen und sich darauf niederzulassen. Angesichts der Tatsache, daß die Kajütentür sich nicht verriegeln ließ, verkeilte Zamorra sie mit einem Holzbalken, der sich an einer anderen Stelle relativ leicht lösen ließ.
»Einem gewaltsamen Ansturm wird dieses doch schon recht morsche Holz nicht unbedingt standhalten«, sagte er und ruckte prüfend an dem Balken. »Aber ich denke, es wird Störenfriede daran hindern, einfach hereinzuplatzen, während wir… hm… mit Testen beschäftigt sind.«
»Vielleicht hat auch dieser unsichtbare Kapitän ein durchaus ähnliches Interesse daran wie wir, daß niemand ihn stört«, grinste Nicole. »Nur, bei ihm reicht seine Autorität als Oberindianer, andere fernzuhalten, wie sich heute erwiesen hat.«
»Aber mit wem sollte er sich nicht stören lassen wollen? Roana und Diana… die sahen nicht gerade danach aus, als würden sie sich ständig mit dem Kapitän vergnügen
Weitere Kostenlose Bücher