0624 - Der Schädel des Riesen
wollte er aufstehen. »Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Suko. So seltsam es auch klingen mag, aber sein plötzliches Erscheinen haben wir dem Orkan zu verdanken. Er hat den Wald wie mit Riesenhänden auf- und umgeräumt, regelrecht durchstöbert. Aus diesem Grunde schaffte er auch den Kopf ans Tageslicht.«
Suko hatte nur mit halbem Ohr zugehört. Er bat um eine Lupe, die Sir James aus der Schublade holte.
Mit dem runden Glas vor dem Auge untersuchte Suko sehr genau das Gesicht. Der Superintendent beobachtete ihn dabei. Er sah, daß sich die Augen des Inspektors verengten und seine Lippen einige Male heftig zuckten.
»Ist was, Suko?«
»Ich denke schon, Sir.« Suko ließ die Aufnahmen sinken. Mit einer behutsam anmutenden Geste legte er die Lupe wieder zurück auf den Schreibtisch.
»Sagen Sie es.«
»Sir, ich bin mir beinahe hundertprozentig sicher, daß ich das Gesicht kenne. Ich habe es vor kurzem noch gesehen. Und ich kann Ihnen auch sagen, wem das Gesicht gehört.«
»Dann tun Sie es doch.«
»Dieser Kopf gehört zu einem Körper, den ich als Schattenreiter kennengelernt habe…«
»Brân?« unterbrach der Superintendent ihn.
»Genau, Sir. Und damit hätten wir möglicherweise die Spur zu John Sinclair…«
***
Sir James Powell saß auf seinem Stuhl, als wäre dies ein elektrischer, durch den jeden Moment ein Stromstoß jagen würde. Er hatte sich verkrampft, rührte sich nicht, bewegte auch beim Atmen durch den Mund kaum die Lippen.
Suko hockte ihm ebenso starr gegenüber. Er wartete auf eine Reaktion seines Chefs.
»Sagen Sie das noch mal, Suko.« Der Inspektor wiederholte den Satz. Sir James stieß die Luft aus. Wie ein Ballon… »Das kann doch nicht wahr sein, das ist einfach unmöglich. Das … das begreife ich nicht.«
»Es entspricht den Tatsachen, Sir.«
»Sie sind sich ganz sicher?«
»So sicher wie eine alte Legende oder Sage sein kann, Sir. Der Riese Brân wurde irgendwann im Kampf durch eine vergiftete Lanzenspitze getötet. Bevor er starb, gab er den Auftrag, ihm den Kopf abzutrennen und ihn nahe London aufzustellen, als Abschreckung für seine Feinde. Jetzt frage ich Sie, Sir! Wo wurde der Schädel gefunden? In der Nähe von London, einige Meilen nördlich davon. Das nämlich muß genau der Platz sein, der in der alten Sage nur unvollständig beschrieben worden ist.«
Sir James leerte sein Glas mit einem langen Zug. Er konnte es nicht fassen, schüttelte den Kopf und stierte Suko an. »Wenn ich ja nicht wüßte, daß John Sinclair und Sie schon manches Mal das Unmögliche möglich gemacht haben, würde ich Sie jetzt auslachen. Das aber mache ich nicht, Suko. Ich glaube Ihnen.«
Zum erstenmal seit längerer Zeit lächelte der Inspektor. »Danke, Sir, danke. Das heißt auch, daß ich damit so gut wie freie Hand habe oder nicht?«
»Was Sie wollen.« Sir James stieß den Zeigefinger wie einen Speer vor. »Nur beantworten Sie mir eine Frage, Suko.«
»Gern.«
»Weshalb sind Sie so sicher, daß dies eine Spur zu John Sinclair ist? Weshalb?«
»Tja, Sir, da gehe ich einfach meinen Gefühlen nach, wenn Sie verstehen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist Unsinn! Für mich ist es ein Hinweis des Schicksals. Der Riese Brân hat John entführt. Durch ihn müssen wir wieder an ihn herankommen.«
»Er ist aus Stein.«
»Stimmt, Sir. Ich gebe allerdings zu bedenken, daß wir schon sehr lebendige Steinfiguren erlebt haben. Und nicht nur einmal. Das sehe ich etwas anders.«
»Sie meinen, daß der Kopf lebt?«
»Irgendwie schon, Sir.«
Der Superintendent nickte, bevor er mit dem Daumen durch sein Nackenhaar schabte. »Am liebsten würde ich mir den verdammten Schädel persönlich anschauen.«
»Lieber nicht, das erledige ich schon.«
»Und wie passen die mutierten Ratten zu ihm?«
Suko hob die Schultern. »Keine Ahnung. Ich werde es herausfinden.«
»Vielleicht hängt es mit der Müllkippe zusammen, die nicht allzu weit entfernt liegt. Sie ist zwar nicht mehr in Betrieb, ich kann mir aber vorstellen, daß sich dort Ratten rumtreiben.«
»Die dann in Richtung Schädel gelaufen sind, meinen Sie?«
»Eine Theorie. Sie erreichten den Schädel und gerieten in seinen magischen Bann.« Sir James lächelte säuerlich. »Käme das auch Ihren Erfahrungen gleich?«
»Nicht schlecht, Sir.«
Der Superintendent schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. »Und jetzt, Suko, gehen Sie und versuchen Sie bitte, John Sinclair zurückzuholen.«
»Wüßte nicht, was ich lieber
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