0624 - Die Tränen der Baba Yaga
nicht daran - ich weiß es. Denn ihr besitzt keine Möglichkeit, mich dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Vielleicht ist mein Wissen um eure Ohnmacht noch besser, noch vorteilhafter für mich, als euch zu töten…«
Im nächsten Moment waren Baba Yaga und ihr Haus verschwunden gewesen! Nichts deutete mehr darauf hin, daß es jemals existiert hatte.
» Vielleicht müssen wir sie jetzt ungeschoren davonkommen lassen«, hatte Zamorra gesagt. »Aber wir werden ihr wieder begegnen. Und dann ist sie dran. Sie wird sich noch wundern. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.«
War jetzt der Augenblick der endgültigen Auseinandersetzung gekommen?
Wenn ja, war es einer der ungünstigsten Momente überhaupt.
Aber das paßte zu Baba Yaga und ihrer Unberechenbarkeit, die teilweise ins Bösartige ausartete.
Damals hatte Zamorra noch oft und lange über die Hexe nachgedacht, die im Auftrag der Fürstin der Finsternis aktiv geworden war.
War das auch jetzt wieder der Fall?
Stygia hatte mehr Gründe denn je, mit radikalsten Mitteln gegen Zamorra vorzugehen. Immerhin hatte er ihr zweimal kurz hintereinander böse Niederlagen beigebracht, und Nicole Duval hatte Stygia darüber hinaus auch noch sehr empfindlich verletzt, was die Rachegelüste der Dämonenfürstin sicher nicht beschwichtigen konnte.
Aber irgendwie konnte er sich das nicht so recht vorstellen.
Baba Yaga…
Sie hatten sich gegenseitig gedroht. Nur hatte Zamorra damals nicht gewußt, wie er der Hexe bei der nächsten Begegnung entgegentreten sollte, und er wußte es jetzt immer noch nicht. Zu viele andere Dinge waren in der Zwischenzeit geschehen. Und da von Baba Yaga keine unmittelbare Gefahr mehr ausging, hatte er die Erinnerung an sie mehr und mehr verdrängt, zugunsten wichtigerer, aktuellerer Dinge.
Und jetzt war sie wieder da! Schlug sie jetzt zurück? Machte sie jetzt alte Drohungen war, um damit in einem Überraschungsschlag Zamorra zuvorzukommen?
Die alten Schreckensbilder tauchten wieder in ihm auf und ließen ihn frösteln.
In den knisternden Flammen des Kaminfeuers sah er das verwitterte, faltige Runzelgesicht der Hexe deutlicher denn zuvor, und er sah, wie sie ihre Lippen bewegte.
Er hörte sie wieder sprechen!
»Finde die Tränen der Baba Yaga!«
Schweißgebadet erwachte er aus dem Alptraum.
Das Feuer war längst erloschen.
***
Nicole saß ihm gegenüber. »Was ist passiert?« fragte sie.
»Ich habe geträumt«, murmelte Zamorra. »Oder doch nicht? Ich bin mir nicht mehr sicher.« Die Erinnerungsbilder verwischten, wurden unscharf. Das einzige, was klar und grell in seinem Gedächtnis brannte, war die Forderung: »Finde die Tränen der Baba Yaga!«
»Tränen?« fragte Nicole leise. »Was bedeutet das? Baba Yaga ist doch eine Hexe, und seit wann haben Hexen Tränen?«
Zamorra nickte.
»Hexen weinen nicht… Hexen können nicht weinen… und darum verstehe ich auch die Forderung der Baba nicht, ihre Tränen zu finden…«
Aber war Baba Yaga nicht schon immer etwas Besonderes gewesen, das sich nicht mit normalen Hexen vergleichen ließ?
Konnte Yaga vielleicht doch weinen?
»Und warum ausgerechnet du?« fragte Nicole. »Sie will dich töten, und du willst ihr deinerseits an den schmutzigen Kragen für die Morde, die sie damals begangen hat… Warum sollte sie nun ausgerechnet dich um etwas bitten? Das ist doch oberfaul, cheri!«
Er sah sie an, lächelte und warf dann einen Blick auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand.
Es war mehr Zeit vergangen, als er gefühlt hatte.
Natürlich… das Kaminfeuer war niedergebrannt und verloschen.
Er mußte wirklich geschlafen haben, während er sich an jene alptraumhaften Szenen erinnert hatte, die sich damals in Rußland abspielten. Aber ihm war es vorgekommen, als sei er wach gewesen!
Er erhob sich aus dem Sessel.
Dabei sah er die beiden gefüllten Whiskygläser, die auf dem Schachtisch standen, und die Flasche Glenmorangie. Die war vorhin noch nicht dagewesen.
Nicole lächelte.
»So, wie du gestöhnt hast, dachte ich, du könntest nach dem Erwachen aus dem Alptraum so ein Schlückchen vertragen.« Also mußte sie, während er sich mit der Erinnerung an die Mordversuche der Baba Yaga herumschlug, den Whisky herbeigeschafft haben, und daß sie ihn nicht allein trinken lassen wollte, war selbstverständlich.
Kein Eiswürfel schwamm in der edlen Flüssigkeit. Whisky dieser Klasse verpanschte man nicht und nahm ihm auch nicht durch übertriebene Kühlung einen Teil seines Aromas. Diese
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