0626 - Dracula II ist wieder da
ich war nicht liegengeblieben. Bisher hatten mich die Grüße aus Blei verschont, einige Geschosse waren dicht über meinen Kopf hinweggefegt und hatten Zweige abgerissen.
Warum schoß Morley nicht mehr? War ihm die Munition ausgegangen, oder wollte er uns bewußt im unklaren lassen oder mit unseren Nerven spielen? Was immer er auch vorhatte, die Feuerpause mußte ich auf jeden Fall nutzen.
Wie ein Indianer kam ich mir vor, als ich, einen Bogen schlagend, mich der Hütte näherte. Rick Morley feuerte nicht mehr. Im Haus brannte nach wie vor das Licht, nur huschte kein menschlicher Umriß mehr durch den Schein.
Von Suko sah und hörte ich nichts. Ich konnte mir gut vorstellen, daß er sich schon an die Hütte herangearbeitet hatte, was mir noch bevorstand.
Die Nadelbäume wuchsen in einer relativ großen Distanz vom Haus entfernt. Um die Hütte zu erreichen, mußte ich die freie Fläche überqueren. Wenn der Kerl wieder schoß, wenn ich gerade rannte, war ich geliefert.
Ich riskierte es trotzdem.
Noch einmal tief die Luft einatmen, dann setzte ich mich mit gewaltigen Sprüngen in Bewegung. Ich war schnell, rutschte glücklicherweise auf dem regenglatten Untergrund nicht aus und wurde von den Schauern erwischt, die gegen meinen Körper klatschten.
Schwer prallte ich gegen die Hauswand, wo ich zunächst hockenblieb und noch einmal durchatmete.
Nichts war geschehen.
Die Eingangstür befand sich ungefähr drei Schritte entfernt. Leider war sie geschlossen. Ich wußte auch nicht, ob Morley sie verschlossen hatte. Wenn ja, hätte ich sie eintreten müssen.
Suko kam mir zu Hilfe.
Er mußte sich einfach bemerkbar gemacht haben, denn Morley feuerte wieder. Nur fegten die Kugeln nicht mehr aus dem zerstörten Fenster an der Vorderseite; die harten Echos klangen weiter entfernt. Suko hatte den Mörder aus der Reserve gelockt, was mir alle Chancen eröffneten, das Haus zu betreten.
Sekunden später war ich schon an der Tür. Sie besaß eine krumme Klinke, auf die ich mit dem Ellbogen hämmerte. In meiner rechten Hand hielt ich die Beretta, die Mündung wies in die Höhe.
Wie ein Geschoß flog die Tür nach innen, und ich jagte ebenso schnell hinterher.
Wo steckte Morley?
In einem großen Raum fand ich mich wieder, umgeben von primitiven Einrichtungsgegenständen und einer brennenden Petroleumlampe, die auf einem viereckigen Holztisch stand.
Die Fenster an der Rückseite waren ebenfalls zerschossen. In einem Rechteck sah ich Sukos blasses Gesicht erscheinen und die dunklen Umrisse seiner Waffe in gleicher Höhe.
»John, aufpassen!«
Morley kam von links. Er hatte an einer dunklen Stelle gelauert, tief im Schatten verborgen. Die MPi hielt er fest, nur schoß er damit nicht, er wollte sie als Keule benutzen und mir damit den Schädel einschlagen.
Wie Morley aussah, hatte ich nicht erkennen können. Für mich war er ein böser, huschender Schatten, der wild schrie und mich zerschmettern wollte.
Ich sprang zur Seite.
Die MPi erwischte mich beinahe. Der Lauf hieb gegen die Tischkante, rutschte ab. Die Lampe schwankte bedrohlich, kippte aber nicht um. Dann trat ich Morley vor die Brust.
Er kippte nach hinten, holte wieder aus, doch ich war schneller und fegte ihm meinerseits die Beretta gegen den Hals. Dumpf keuchend brach er zusammen. Er berührte den Boden, als Suko in den Raum sprang, doch ich war schneller bei Morley.
Bevor er noch etwas unternehmen konnte, preßte ich ihm die Mündung meiner Waffe gegen die Wange und zischte in sein Ohr:
»Ruhig, Morley, ganz ruhig! Verstehst du? Eine dumme Bewegung, und es ist vorbei mit dir.«
Suko stand wie ein Klotz hinter mir. Morley schielte mich und Suko an.
Ich konnte ihn jetzt genauer anschauen. Er war ungefähr dreißig, sah aber älter aus, weil ihm zahlreiche Haare fehlten und er die verbliebenen wie einen Vorhang nach hinten gekämmt hatte. Auf der hohen Stirn glänzten die Schweißtropfen ebenso wie auf seinem Gesicht. Seine Augenwimpern zuckten, ebenso die Lippen. Er roch nach alter Kleidung und nach Schimmel.
»Wer seid ihr?«
»Polizisten.«
Morley räusperte sich. »Das… das habe ich mir gedacht, verdammt. Das habe ich mir gedacht.«
»Enttäuscht?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Wir sind gekommen, Morley, um Sie festzunehmen. Wegen Mordes. Sie werden einen fairen Prozeß bekommen und…«
Ich sparte mir die nächsten Worte, denn gegen sein lautes Lachen konnte ich schlecht ansprechen. Er amüsierte sich köstlich, er lachte und schüttelte den
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