0626 - Kopfjagd in der Höllenwelt
zu, rechts und links des Weges standen meterhohe Säulen, und auf jeder lag ein menschlicher Schädel. An manchen Schädeln fanden sich noch verwesende Fleischreste. Ein widerwärtiger Gestank ging von ihnen aus. Übelkeit stieg in Patricia hoch. Sie preßte die freie Hand vor Mund und Nase, schloß die Augen und stolperte hinter dem Zauberer her. Mehrfach versuchte sie sich loszureißen, aber es gelang ihr nicht.
Aaraa öffnete die schwarze Tür und stieß das Mädchen in eine dunkle Nische. Sie schrie erschrocken auf. In einem lautlosen Vorgang verschwand der Zauberer vor ihren Augen. Sie wollte sich vorwärts werfen, heraus aus der Nische, aber sie prallte vor eine unsichtbare Wand, wie am vergangenen Morgen in der Erdhöhle. Doch diesmal war es noch anders.
Im Moment der Berührung zuckten Schlangenkörper aus der unsichtbaren Wand hervor, stießen mit ihren Zähnen nach Patricia. Entsetzt sprang sie zurück und preßte sich an die Nischenwand. Die Schlangen blieben; sie ragten einfach halb aus dem Nichts, bewegten ihre Köpfe pendelnd hin und her und zischten drohend.
Patricia sah sich in der Nische um.
Sie war darin nicht allein.
Im Halbdunkeln kauerte ein Skelett auf dem Boden, die Arme um die hochgezogenen Knie geschlungen.
Welcher arme Teufel mag hier zugrunde gegangen sein? fragte sie sich.
Im gleichen Moment begann sich der Schädel des Gerippes zu bewegen.
***
»Da oben!« sagte Calderone. »Dieser steinerne Schädel!«
»Das ist der Tempel?« stöhnte Zamorra. »Verdammt hoch…!«
»Ich sehe keinen Weg, der hinaufführt«, sagte Teri.
»Etwa fünf Mannslängen«-, schätzte Calderone. »Das müßte zu schaffen sein. Ich habe eine Idee.«
Er schwang sich aus dem Sattel. »Die Tiere lassen wir hier. Dort oben ist der Pfad zu schmal. Sie könnten nicht wenden. Hier vorn ist mehr Platz.«
Teri sprang von dem Einhorn und flüsterte Tha etwas zu. Dann nickte sie. »Tha wird auf die beiden Pferde achtgeben«, sagte sie und streifte den weißen Mantel von den Schultern. Calderone pfiff leise.
Hugin strich durch die Luft. Er jagte mit schnellen Flügelschlägen zu dem steinernen Schädel hinauf, umflatterte ihn einige Male und kehrte dann von der schwarzen Felswand zurück. Er gab Schnarrlaute von sich, die nur Teri verstand.
»Die von unten aufragenden Zähne sind stabil genug, ein Seil zu halten«, übersetzte sie.
Calderone keuchte überrascht. »Woher kennt der verdammte Vogel meinen Plan?«
Er löste ein langes, zusammengerolltes Seil von seinem Sattel und befestigte sein Schwert an einem Ende. Dann nickte er den anderen zu. »Kommt!«
Unter dem Steinmaul blieben sie stehen. Calderone holte aus und wollte das Schwert in die Höhe werfen. Aber Teri hinderte ihn daran. »Warte«, sagte sie. »Hugin wird das Seil hinauftragen. Mach das Schwert los.«
Calderone sah sie erstaunt an. »Was…?«
»Mach schon«, verlangte Teri. Sie nahm Calderone das Seil aus der Hand und rollte es aus. Auf einen Krächzlaut hin faßte Hugin die Seilmitte mit den Krallen und stieg langsam auf. Calderone beeilte sich, das Schwert, das er als Gegengewicht gedacht hatte, wieder zu lösen, um dem Raben die Last zu erleichtern.
Hugin kämpfte schwer. Das Seil hatte ein nicht unbeträchtliches Gewicht, und der Rabe besaß keine unbegrenzten Kräfte. Auf halber Höhe sah es so aus, als würde er es nicht schaffen. Er sank wieder ein Stück zurück.
»Das ist Narretei! Ich hätte werfen sollen«, knurrte Calderone.
»So hoch wirfst du nicht«, sagte Teri gelassen. Sie feuerte den Raben mit ein paar leisen Schreien an. Und als hätte es nur dieser Zurufe bedürft, stieg Hugin wieder ein paar Meter höher.
»Er schafft es doch nicht«, murmelte Zamorra bedrückt, als die Kräfte des Raben plötzlich wieder nachließen.
Plötzlich gab sich der Vogel noch einmal einen heftigen Ruck nach oben. Er kam über einen der Zahnfelsen zu schweben. Dort ließ er das Seil fallen und ließ sich erschöpft auf die Zahnspitze nieder. Das Seil rutschte richtig über den ›Zahn‹. Da Hugin es an der Mitte gefaßt hatte, hingen jetzt zwei gleichlange Seilhälften herunter. Calderone verknotete sie miteinander.
»Hinauf«, sagte er. »Rasch. Es wird gleich hell, und dann…«
»Was dann?« fragte Zamorra. Aber Calderone antwortete nicht. Statt dessen packte er das Seil und turnte hinauf.
Zamorra faßte das Seil mit beiden Händen und folgte ihm. Als er sich über die Steinkante schwang, packte Calderone zu und zog ihn mit einem
Weitere Kostenlose Bücher