0628 - Die Geister vom Leichenbaum
Sir Edgar nur einen Besucher bei sich im Haus haben wollte.
Bei meinem Geschmack paßte hier nicht viel zusammen…
***
»Wissen Sie, was Al Capone einmal gesagt hat, Mister?«
Suko schaute die Frau an, schüttelte den Kopf und fügte noch: »Was denn?« hinzu.
»Mit einem freundlichen Wort und einer Kanone kommt man viel weiter als nur mit einem freundlichen Wort.«
Suko war erstaunt, einen derartigen Spruch aus dem Mund der Wirtin zu hören. Hinzu kam ihr Aussehen, denn sie wirkte wie ein ältliches Fotomodell für Liliputaner.
Sehr klein, rundlich, mit einem faltigen Gesicht, dichtem, fettschwarzen Haar, aber Augen von einer dermaßen intensiven Bläue, als wollten sie einem Menschen auf den Grund der Seele schauen.
»Was sagen Sie jetzt, Mister?«
»Nichts.«
Die kleine Wirtin lachte. »Mein Vater hat alles über Al Capone, diesen Supergangster gesammelt. Er war ein regelrechter Fan von ihm. Daher weiß ich viel.«
»Und Sie?«
»Ich bin kein Fan.«
»Aber auch keine Engländerin.«
»Nein, ich komme aus den Staaten. Meine Eltern blieben irgendwann hier in dieser Gegend hängen. Es war schon immer der Traum meines Vaters gewesen eine Gaststätte zu eröffnen, auch wenn sie noch so einsam stand und ›Last Post‹ heißt.«
»War hier mal eine Post?«
»Nein, Mister.« Die Wirtin winkte ab. »Das war früher eine Poststation, wo die Pferde gewechselt wurden, mehr nicht. Daher dieser Name. Außerdem will ich nicht immer Mister zu ihnen sagen. Ich heiße Wilma Lane.«
»Suko.«
»Toller Name.«
»Aus China stamme ich, wobei der Name eigentlich einen japanischen Stammbaum besitzt, aber das interessiert mich nicht.«
»Würde mich auch nicht. Ich frage mich nur, was Sie in diese Einsamkeit zu dieser Zeit verschlagen hat?«
»Was heißt diese Zeit?«
»Wir haben März. Da sind kaum Touristen hier. Sie halten sich zurück, sie kommen im Sommer, wenn es warm ist.«
»Ich warte auf einen Freund.«
»Treffpunkt ›Last Post‹?«
»So ungefähr.«
Suko lächelte in sich hinein. Die Frau vor ihm platzte vor Neugierde, doch er würde über seinen wahren Job nichts preisgeben. Suko hatte sich an einer Ecke der Theke aufgebaut, ein strategisch günstiger Standort, denn er konnte das Lokal überblicken, in dem nur ein halbes Dutzend Gäste hockten, verteilt an den Tischen. Touristen befanden sich nicht darunter, es waren Einheimische, die ihr Bier tranken, miteinander über Gott, die Welt und die Nachbarschaft sprachen.
So hätte es sein müssen, aber so war es nicht.
Suko schaute der kleinen Frau nach, wie sie zur Tür ging und nach draußen blickte.
Gegenüber wuchs Wald. Zwischen dem Haus und ihm befand sich ein halbrunder, ziemlich großer Parkplatz, auf dem die drei Wagen verloren wirkten.
Von der zwei Meilen entfernt liegenden Stadt war nichts zu sehen. Die Kneipe lag wirklich sehr einsam.
Wilma Lane kehrte zurück, atmete dabei tief ein und schaute Suko mit einem langen Blick an.
»Ist was?«
Sie ging wieder hinter die Theke und strich über ihre weiße Schürze. »Fällt Ihnen nichts auf, Suko?«
»Weiß nicht. Ich bin fremd hier, kenne die Gegend einfach zu wenig.«
»Die Stille.«
»Ist es sonst lauter?«
»Ja. Die Gäste unterhalten sich kaum. Ein jeder scheint zu spüren, daß etwas in der Luft liegt.«
»Was sollte denn in der Luft liegen?«
Wilma Lane hob die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Es kann am Wetter liegen, es können aber auch andere Einflüsse sein. Seit einigen Tagen schon habe ich das Gefühl, beobachtet zu werden.«
»Von den Gästen?«
Wilma senkte ihre Stimme. »Nein, aus dem Unsichtbaren hervor. Irgendwelche…« Sie hob die Schultern. »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Aber es gibt Wesen, die mich umlauern und mich unter Kontrolle halten.«
»Nur Sie?« fragte Suko.
Wilma Lane schaute Suko an. »Es ist komisch, daß ich Ihnen das ausgerechnet sage, aber mit anderen habe ich darüber nicht gesprochen, wo ich doch jeden Gast kenne.«
Der Inspektor lächelte. »Ich werde bestimmt nicht tratschen. Ich kenne hier niemanden.« Er trank sein Glas leer, eine Mixtur aus Orangensaft und Mineralwasser.
Wilma Lane mußte an die Tische und die Gäste dort bedienen. Suko schaute sich um. Die lagen in der oberen Etage. Der Gastraum hier unten wirkte sehr sauber. Auf dem Boden lag kein Staub, die Bohlen glänzten, und Fußabdrücke waren auch nicht zu sehen. Die dicken Balken an den Decken hatten einen frischen Anstrich bekommen, das Glas der
Weitere Kostenlose Bücher