0630 - Das Tengu-Phantom
kann?«
Ich hob die Schultern. Während meiner Antwort schaute ich in ihr ängstliches Gesicht. »Wir kennen das Problem. Gegen den Teufel, die Hölle und gegen die Mächte des Bösen kämpfen wir bereits seit Jahren. Bisher hat keiner von uns gewonnen.«
»Haben Sie ihn schon gesehen?«
»Ja.«
Judith schauderte und schlug ein Kreuzzeichen. Die Wunde des Mannes zierte nach der Behandlung ein Pflaster. »Töten Sie ihn!«, sagte er mit rauer Stimme, hatte die rechte Hand zur Faust geballt und schlug damit auf den Tisch. »Töten Sie ihn. Ich bitte Sie!«
»Wir werden schon die richtige Lösung finden.«
»Geben Sie uns dann Bescheid?«, fragte Judith. »Wir würden die anderen dann zurückholen.«
»Natürlich.«
Da hörten wir die Schreie. Es war schlimm, obwohl kein Mensch geschrieen hatte, sondern ein Tier.
Eine Mischung aus Blöken und sehr hohen schrillen Tönen.
»Was ist das?«
»Schafe!«, antwortete Vale und wollte hoch.
»Bleiben Sie sitzen.« Ich drückte ihm die Hand auf die Schulter. Suko war schon an der Tür. Draußen holte ich ihn ein. Er wollte nach rechts wegrennen, als wir beide den Schatten sahen, der sich in die Luft schraubte.
Es war der schwarze Vogel. Und wie grausam er sein konnte, sahen wir in diesen Augenblick. In seinem Schnabel klemmte ein blutiges Stück Fleisch…
Er hatte es aus dem Körper eines Schafes gerissen, wie wir wenig später sahen, als wir den Zaun einer kleinen Weidefläche hinter den Ställen überklettert hatten.
Zwei blutüberströmte, tote Schafe lagen auf dem braungrünen Wintergras. Die anderen hatten sich in einer Ecke dicht zusammengedrängt, wo auch ein großer, struppiger Hund bei ihnen stand, denn auch dieses Tier spürte die Furcht.
»Meine Güte«, flüsterte ich und schüttelte den Kopf. »Da fehlen mir die Worte.«
»Der Tengu, John!« Suko sprach sehr leise.
»Das glaube ich auch.«
Ich drehte mich um und verließ mit weichen Knien den Ort des Sterbens. Vale kam mir entgegen.
Als er mein Nicken sah, fragte er leise: »Waren es die Schafe?«
»Zwei hat er getötet.«
Der Mann senkte den Kopf. Er war nicht mehr dazu in der Lage, einen Kommentar abzugeben. Die Hände bewegten sich unruhig, seine Wangen zuckten.
Auch Judith kam. Sie hörte von uns, was geschehen war, und blieb starr stehen. »Wir sind verflucht«, sagte sie leise. »Der Herrgott hat uns dazu ausersehen, verflucht zu sein. Wir werden die Bürde tragen müssen, immer wieder.«
Ihr Mann drehte sich um. Er bedachte uns mit keinem Blick mehr. Dafür legte er einen Arm um die Taille seiner Frau und führte sie zurück in das alte Steinhaus.
»Hoffentlich hat sie mit ihrer letzten Bemerkung nicht Recht gehabt«, sagte Suko.
»Verflucht sein?«
»So ist es.«
Ich hob die Schultern. »Daran glaube ich nicht. Es kann eine Kette von unglücklichen Zufällen sein.« Dann schaute ich gegen den Himmel, wo die Wolken als graue Schicht lagen. Von einem großen schwarzen Vogel sah ich nichts mehr.
»Fahren wir?«, fragte Suko.
Ich war bereits auf dem Weg zum Rover, stieg ein und nahm hinter dem Lenkrad Platz. »Weißt du, Suko, was ich mich frage?«
»Bestimmt nicht.«
»Ob wir lebend die verdammte Schule oder das alte Schloss verlassen werden.«
»Das ist in der Tat ein Problem.«
Ich startete und sah nicht, wie das Ehepaar uns durch eines der Fenster nachschaute. Judith bewegte ihre Lippen, sehr leise betete sie für die beiden Fremden…
***
Wir brauchten uns die Strecke nicht mehr anzusehen, die Crawford aufgezeichnet hatte. Der Weg war leicht zu finden. Auf einer Hügelkuppe angelangt, sahen wir bereits die wuchtigen Mauern des alten Schlosses, das einen hohen Turm hatte, auf dem die japanische Flagge wehte.
Die unmittelbare Umgebung des Schlosses wurde von einem Parkplatz benutzt, auf dem zahlreiche Fahrzeuge standen. Alles sah so völlig harmlos und normal aus.
Unser Weg blieb auf gleicher Höhe. Durch eine Wiesenlandschaft rollten wir dem Gemäuer entgegen, dessen Grundstück frei zugänglich war. Jeder Besucher konnte auf das große Portal zugehen.
Wir taten es ebenfalls, erkannten dabei die Technik, denn eine schräg stehende und in der Wand installierte Kamera glotzte nach unten. Sie nahm jeden Besucher auf. Ich hatte einen roten Knopf gedrückt und vernahm aus den Rillen eines Lautsprechers die Frage: »Ja bitte?«
»Wir sind mit Mr. Crawford verabredet.«
»Wen darf ich melden?«
Brav sagte ich die beiden Namen auf.
»Einen Augenblick bitte. Ich werde Dr.
Weitere Kostenlose Bücher