0630 - Das Tengu-Phantom
ob die Schule auch einen Direktor hatte.
»Es ist ein Japaner, der sich sehr zurückhält. Manche nennen ihn den Schatten, nie richtig zu sehen, aber überall vorhanden. Er nimmt die Prüfungen ab.«
»Die entsprechend schwer sind.«
»Darauf können Sie sich verlassen, Mr. Sinclair. Wer diese Schule verlässt, ist fit für die Praxis. Den haut im Geschäftsleben nichts so leicht von den Beinen.«
Hier konnte man es aushalten. Das Fenster war sehr groß und auch breit. Man hatte es nachträglich eingebaut. Ein Schreibtisch, Sessel, ein Bett, die schmale Tür, die ins Bad führte, eine Hi-Fi-Anlage, natürlich der TV-Apparat nebst Video, das alles sah mir nach einem Luxushotel aus. Die Bar bestand aus einem Gestell aus Chrom und Glas. Vier blanke Stangen hielten eine rechteckige Schale, die mit Flaschen gut sortiert war.
»Darf ich Ihnen etwas anbieten?«
»Nein, für mich nicht«, sagte Suko.
Ich nahm einen Saft.
Den holte Crawford aus dem Kühlschrank. Der war in die hölzerne Wandverkleidung eingebaut worden. »Wenn Sie sich darüber wundern sollten, dass ich so ruhig bin, muss ich Ihnen sagen, dass ich Tabletten genommen habe. Sonst hätte ich es nicht ausgehalten.«
»Valium ist auch keine Lösung«, meinte Suko.
Crawford reichte mir das Glas. »Für mich in diesem Fall ist es das, Inspektor.«
Ich trank das kalte Wasser. Suko stand am Fenster. Er erkundigte sich nach den Plänen des Wissenschaftlers.
»Ich habe keine, sorry.«
»Aber Sie müssen sich doch vorgestellt haben, wie es weitergehen soll, Mr. Crawford.«
»Nein, ich wollte warten, bis Sie hier sind. Sie glauben nicht, mit welch einem Gefühl ich in diese Schule gegangen bin. Das war einfach furchtbar. Mir zitterten die Knie, obwohl ich Valium genommen habe. Ich - ich hatte den Eindruck, dass jeder meiner Schüler Bescheid wusste.«
Suko fuhr herum. »Kann das denn sein? Ist es möglich, dass Ihre Schüler über den Tengu und dessen Magie informiert sind?«
Crawford rang die Hände. »Es tut mir schrecklich leid, aber ich habe nicht danach gefragt. Hätten Sie sich etwa getraut?«
»Weiß nicht.«
Ich stellte das Glas ab und wollte wissen, wie der weitere Unterrichtstag aussah.
»Nicht unnormal. Die Stunden sind eigentlich vorbei. Wir haben eine lange Pause angesetzt, damit sich die Männer erholen können. Später dann, am Nachmittag, werden die Schüler auf ihre Zimmer gehen und die gestellten Aufgaben lösen. Nach dem Abendessen sprechen wir sie durch. Dann ist Freizeit oder Bettruhe.«
»Wo verbringen die Leute ihre Pausen?«, fragte ich.
»Nicht in ihren Zimmern. Der Konzern will die Gemeinschaft fördern, deshalb haben wir für die Pausen die Fitness- oder Ruheräume ausgewählt.«
»Auch den Pool?«, fragte Suko.
»Natürlich. Aber Sie müssen sich das nicht wie eine europäische Pause vorstellen, Inspektor. Wir nennen es hier die Meditationsphase. Man redet so gut wie nicht miteinander, weil man sich eben verinnerlichen und neue Kräfte schöpfen will.«
»Okay«, murmelte ich und nickte. »Wissen Sie eigentlich, dass der Tengu ein weiteres Opfer auf dem Gewissen hat, falls man bei ihm von einem Gewissen sprechen kann.«
»Nein, wen?«
»Einen Mann, der hier im Schloss angestellt war.«
»Japaner? Ein Lehrer?«
»Nein, ein Europäer. Er hatte die Funktion des Hausmeisters inne.«
Der Mann biss auf seine kräftige Unterlippe. »Ja, den kenne ich natürlich. Er hieß Reddy.« Crawford schluckte. »Und ihn soll der Tengu getötet haben?«
»So ist es.«
»Aber wieso?«, rief Crawford laut. »Er hat ihm doch nichts getan!«
»Wissen Sie das genau?«, fragte Suko. »Wissen Sie, was im Schädel dieses verdammten Dämons vor sich geht?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Ich habe die Leiche zusammen mit John Sinclair gesehen. Sie bot einen furchtbaren Anblick.«
Winston Crawford winkte mit beiden Händen ab. »Um Himmel willen, ersparen Sie mir eine genaue Beschreibung.«
»Das hatte ich auch vor, Mr. Crawford«, sagte ich. »Der Tengu hat auch ihn getötet. Nur suchen wir nach dem Motiv. Er muss ihm in die Quere gekommen sein.«
»Wenn ich das wüsste«, murmelte der Mann. »Reddy hat sich stets in den unteren Räumen aufgehalten. Er war verantwortlich für die Energieversorgung.«
Suko schnippte mit den Fingern. »Sagten Sie in den unteren Räumen, Mr. Crawford?«
»Ja.«
Mein Freund schaute mich an. »Denkst du das Gleiche wie ich, John?«
»Bestimmt, aber rede du.«
Suko sprach zu uns beiden. »Wenn der Tengu
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