0630 - Das Tengu-Phantom
aufzog. Es roch nach Chlor und warmem Wasser. Die Schüler drehten uns ihre Rücken zu. Auch weiterhin saßen sie verteilt um den Pool, sie hatten sich nicht bewegt und wirkten auf mich wie ein vereistes Kunstwerk. Ich konnte in kein Gesicht schauen. Ich sah kein Augenpaar, keine Lippen, die lächelten oder hart zusammengepresst waren. Sie rührten sich nicht, nur die Gesichter waren zur Wand gerichtet, wo sich der Tengu abmalte.
Dieses gefährliche, brutale, maskierte und in Leder gekleidete Phantom mit dem liegenden, grün schimmernden Monstrum zwischen seinen Beinen.
Dahinter sah ich das schwache Mosaik des Bildes. Dort bewegte sich nichts, das Antlitz blieb starr.
Hatte sich der Tengu mittlerweile bewegt? Ich konnte nichts feststellen, und auch das unheimliche Monstrum lag regungslos.
Oder?
Ich hörte Sukos leisen Zischlaut, der mehr wie eine Warnung klang.
»Was ist?«
»Das Monstrum, John, sieh dir seine Augen an.«
Ich konzentrierte mich auf das Gesicht und erkannte erst jetzt, dass der schmale, nach vorn stoßende Schädel sogar Ohren hatte. Lang gezogen und lappenartig wirkten sie. Sie zitterten, vibrierten und stellten sich plötzlich in die Höhe, wobei die Bewegung nicht auf die Ohren beschränkt blieb, denn auch der Kopf drückte sich langsam hoch.
Das Monster war erwacht. Es klappte gleichzeitig die Augen auf. Sein Schwanz bewegte sich fahrig über den Boden, und seine Pupillen leuchteten in der gleichen Farbe wie die Zunge.
»Das ist der Anfang, John…«
Wir hatten es gesehen. Ob die Schüler etwas von den Vorgängen mitbekommen hatten, konnte ich nicht sagen. Äußerlich jedenfalls war ihnen nichts anzusehen. Nur das Monstrum war auf uns, die Eindringlinge, aufmerksam geworden.
Ich dachte darüber nach, in welch einer Verbindung es zu dem Tengu stehen konnte. War es so etwas wie ein Helfer, ein zusätzlicher Leibwächter?
Suko wisperte hinter mir: »John, ich werde das Gefühl nicht los, dass gleich etwas passiert.«
»Kann sein.«
»Das muss sogar sein.«
Noch blieb der Tengu unbeeindruckt. Nach wie vor wirkte er auf uns wie auf dem Sprung stehend oder wie ein Phantom, das eingefroren war, um sich durch blitzschnelles Auftauen wieder in Bewegung setzen zu können.
Alles war möglich…
Ich hörte meinen eigenen Herzschlag. Da ich wusste, vor welchen Problemen wir standen, war ich dementsprechend angespannt und aufgeregt. Hier würde gleich etwas passieren, das lag in der Luft, das spürte ich allzu deutlich.
Es geschah sehr schnell. Und diesmal regte sich nicht das Monstrum. Der Tengu zuckte für einen Moment zusammen, er bewegte seinen Messerarm wie ein Hampelmann, als wollte er die Muskeln geschmeidig machen, dann drehte er blitzartig den Kopf.
Er schaute nach rechts!
Bisher hatten wir ihn nur im Profil gesehen, jetzt starrten wir über die Köpfe der Schüler hinweg in sein Gesicht, das bis auf die Augen völlig von der Maske bedeckt wurde, die wie dünnes Gummi wirkte.
Wir starrten uns an.
Es gab nichts mehr zu beschönigen, der Tengu war erwacht!
***
Obwohl wir damit gerechnet hatten, fiel es uns schwer, diese Tatsache zu akzeptieren. Gut, der Tengu hatte uns auch als unbewegliches Wesen Furcht eingejagt, aber so, wie er jetzt aussah, ging es mir schon durch und durch.
Von ihm strahlte etwas ab, das ich nicht in Worte kleiden konnte. Ich hatte es schon erlebt, damals, als ich Luzifer gegenübergestanden hatte. Das war auch so schlimm, so grausam und böse gewesen.
Der Tengu verbreitete ein Flair, das dem anderen in nichts nachstand. Ich spürte das eisige Gefühl über meinen Rücken rinnen und auch den feuchten Schweiß auf meinen Handflächen.
Dabei tat er nichts.
Er stand starr auf dem Fleck, schaute über die Köpfe der Schüler hinweg, und auch das Monstrum zu seinen Füßen bewegte sich nicht mehr. Mir kam es vor, als wollte er die neue Lage analysieren, um dann reagieren zu können.
Dass meine Hand auf dem Bumerang lag, merkte ich daran, als Suko mich ansprach.
»Willst du die Banane schleudern?«
Fast wäre meine Rechte zurückgezuckt. Ich überlegte einen Moment und schüttelte den Kopf.
»Es wäre auch zu ungünstig, John.«
»Genau, der Raum ist zu klein.« Bei einem Kampf mit dem Tengu brauchte ich Platz.
Wie würde er sich verhalten?
Zunächst hörten wir Crawford näher kommen und seine zittrige Flüsterstimme sagen: »Da ist doch was passiert - oder?«
»Ja, er ist wach.«
»Gott, der Tengu?«
»Bestimmt nicht sein Bruder.«
»Was machen
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