0632 - Syndikat der toten Augen
Trapezkünstler. Und sie waren es auch, wie Leonidas, der plötzlich erschien, dem Reporter erklärte. Seine Stimme troff dabei vor Genugtuung, aber auch vor Hass.
Er redete zuerst über seine tote Tochter, dann über seine Rache, die sehr spektakulär werden sollte und bei der Bill Conolly den Anfang machen würde.
»Du wirst den Zuschauern etwas vorturnen, Conolly. Du wirst ans Trapez gehen, und du wirst auch abstürzen und in das unten gespannte Netz fallen.« Jedes seiner Worte begleitete er mit den entsprechenden Hand- und Fingerbewegungen. »Es kommt noch etwas hinzu. Solltest du jetzt versuchen, Hoffnung zu schöpfen, weil ich das Netz erwähnt habe, so wird dir diese Hoffnung genommen. Das Netz wird nicht halten. Es ist als reine Staffage aufgebaut worden. Nur Kulisse. Beim ersten Kontakt wird es reißen, Conolly. Verstehst du?«
Ja, Bill hatte verstanden, nur enthielt er sich einer Antwort, weil es ihm wie der reine Wahnsinn vorkam. Er schielte auf seine neuen »Kollegen«. Von ihnen konnte er keine Hilfe erwarten, das erkannte er an ihren Gesichtern.
Jedenfalls war er klar genug, um erkennen zu können, dass es Leonidas geschafft hatte, sich zu rächen. Bisher war sein Plan voll und ganz aufgegangen, und einen Mann auf diese Art und Weise zu töten, wie er es mit Bill Conolly vorhatte, war schon mehr als makaber.
Er beugte sich nach vorn. Bill konnte in das harte Gesicht mit der sonnenbraunen Haut schauen, in die eisigen Augen und auf die schlohweiße Mähne.
Eine Faust drückte gegen die Brust des Reporters, der in der trockenen Wärme eines Wohnwagens auf einem schmalen Stuhl saß. »Und weißt du, weshalb ich mir für dich diesen Tod ausgesucht habe, Conolly? Weißt du das?«
»Nein.«
»Denk nach, Conolly, und denke dabei an meine Tochter, die du auf den rechten Weg zurückführen solltest. Sie aber wurde durch eine Kugelgarbe vom Dach geholt. Sie stürzte ab, sie fiel in die Tiefe, so wie auch du jetzt abstürzen wirst. In die Tiefe fallen, einfach so, dann weg sein.«
Bill spürte den Klumpen in der Kehle, der ihn zunächst am Sprechen hinderte. »Sie müssen verrückt sein, Sie sind wahnsinnig, Leonidas. Sie können es nicht vergleichen.«
»Und wie ich das kann!«, erklärte der Grieche mit hasstriefender Stimme. »Ich war es gewohnt, meine eigenen Gesetze zu machen. Nicht umsonst nennt man mich den Titan. Ja, ich bin ein Mächtiger. Man hat mich einmal schlagen können, aber ich schlage zurück, darauf kannst du dich verlassen. Und ich schlage gewaltig zurück, sodass es in Erinnerung bleiben wird, Conolly. Du hättest dir damals mehr Mühe mit meiner Tochter geben sollen, du hast es nicht getan…«
Bill verdrehte die Augen. Er hatte schon angesetzt, um eine Antwort zu geben, sah jedoch ein, dass es keinen Sinn hatte, mit Leonidas zu reden. Der Grieche hätte ihm kein Wort geglaubt.
Dies alles schoss ihm durch den Kopf, als er die Stufen der Leiter hochstieg. Bill hätte es auch nicht geschafft, zu fliehen, denn die neuen Kollegen standen samt und sonders auf der Seite des Griechen.
Von der Halle selbst hatte der Reporter kaum etwas mitbekommen. Dass sie bis auf den letzten Platz gefüllt war, ahnte er mehr, als dass er es sah. Er konnte es sich allerdings gut vorstellen, es war wieder »in«, einen Zirkus zu besuchen.
Was mochten die Zuschauer denken? Würde es ihnen überhaupt auffallen, dass sich jemand unter die Artisten gemischt hatte, der gar nicht zu ihnen gehörte?
Wahrscheinlich nicht, und Bill Conolly dachte auch jetzt fieberhaft über einen Ausweg nach, wie er sich aus dieser vertrackten Lage befreien konnte.
Die Wirkung des Giftes hatte bei ihm relativ schnell nachgelassen. Er spürte keine Nachwirkungen mehr. Sein Kopf war im Innern wie freigeblasen.
Sollte auf dem Trapez die Entscheidung fallen? Würde er einige Flüge überstehen?
Schweißtropfen klebten auf seiner Stirn. Je höher Bill kletterte, um so weicher wurden seine Knie.
Die Welt unter ihm verkleinerte sich und blieb zurück. Als er einen Blick in die Tiefe warf, hatte er den Eindruck, auf ein Bild zu schauen und nicht auf eine Menschenmasse, die gespannt war, was Artisten an diesem Abend noch alles leisten würden. Zwischen ihm und der realen Welt lag eine Art durchsichtiger Wand.
Die beiden vor ihm erreichten als erste die schmale Plattform. Die Frau war blond, trug einen Pferdeschwanz und lächelte ständig, wobei das Lächeln jedoch wie eingefroren wirkte und längst nicht die Augen erreichte, wo die
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