0634 - Duell der Schamanen

verflixte Rothaut herbeizuschleppen.«
    »Aber Herr, der Wilde beobachtete uns aus dem Dickicht heraus und…«
    »Ist ja schon gut!« knurrte Cristofero ihn an. »Sagte Er unlängst, es gäbe keine weiteren Wilden in der näheren Umgebung?«
    »Das, Herr, war es, was ich feststellen konnte.«
    »Dann frage ich mich ernsthaft, weshalb Hercule immer noch nicht zurückgekehrt ist«, murmelte Don Cristofero.
    ***
    Hercule starrte fasziniert die Kreatur an, die ihm gegenüberstand. Sie war aus dem Dickicht hervorgetreten und kam jetzt mit eigenartig schaukelnden Bewegungen auf ihn zu.
    Woher die Schaukelbewegungen kamen, wurde ihm klar, als er die Kniegelenke des Wesens sah.
    Jedes der Beine besaß gleich zwei Knie!
    Sie waren gegeneinander gebeugt.
    Dafür schien das Wesen keine Fußgelenke zu haben. Es ging auf den Zehen.
    Seine Hände waren Raubtierpranken mit messerscharfen Krallen anstelle der Finger.
    Der Kopf war der einer großen Katze.
    Aber die Augen…
    Sie waren so grauenhaft menschlich…
    Das Wesen, dessen Haut glatt und über und über bemalt war, näherte sich Hercule immer mehr. Er hob die Muskete und richtete sie zögernd auf die Kreatur.
    »Bleib stehen!« warnte er.
    Hörte ihn das Wesen nicht? Oder konnte es ihn nicht verstehen?
    Der riesige, muskelstrotzende Mann bekam es immer mehr mit der Angst zu tun. Schritt für Schritt wich er zurück, und Schritt für Schritt folgte ihm dieses unheimliche Wesen, ließ sich von der Muskete überhaupt nicht beeindrucken. Im Gegenteil, seine Schritte waren größer als die des Franzosen, und mit jeder Bewegung verringerte sich der Abstand zwischen ihnen!
    »Nein!« keuchte Hercule in beginnender Panik. »Geh weg! Verschwinde! Laß mich in Ruhe! Oder ich schieße!«
    Er war kein Soldat. Er wollte nicht töten. Er hatte Frankreich verlassen und war in die neue Welt ausgewandert, weil er hier ein ruhigeres Leben zu führen gehofft hatte. Er wollte kein Soldat werden und auf irgendeinem Schlachtfeld krepieren, nur weil Seine Majestät Kriege zu führen geruhte gegen andere Könige, weil Menschen einander mit Pulver, Blei und scharfem Stahl umbringen sollten, obgleich sie wohl viel lieber zusammen in einer Schenke sitzen und einen Krug Bier oder Wein miteinander trinken würden.
    Aber wer fragte schon Hercule oder einen anderen Menschen danach, was er wollte?
    Nur was der König wollte, war von Bedeutung.
    In diesem fernen Land hatte Hercule bisher seine Ruhe gefunden. Hier wollte ihn niemand zum Soldaten machen; es gab Soldaten genug, die von Seiner Majestät hergesandt worden waren, um die Siedler zu beschützen.
    Und Hercule tat das, was er gelernt hatte: mit den Tieren umzugehen.
    Und so hatte er sich auch der Expedition angeschlossen, die der dicke Spanier ausgerüstet hatte. Was ihn dabei erwartete, wußte Hercule nicht; er wollte sich einfach überraschen lassen. Nur eines wußte er: Hier unterwegs würde niemand ihn zum Soldaten machen wollen.
    Aber jetzt stand er einem furchtbaren, alp traumhaften Wesen gegenüber und ahnte, daß er um sein Leben würde kämpfen müssen, ganz gleich, ob er das nun wollte oder nicht. Schon wieder wurde er einfach nicht gefragt.
    Und hier half auch seine eindrucksvolle Gestalt nicht, die sonst immer jeden eingeschüchtert hatte, der ihm Böses wollte - vornehmlich bei Auseinandersetzungen in Schenken, oder auch früher schon auf dem Schiff während der Überfahrt.
    »Bleib stehen!« warnte Hercule noch einmal. »Zurück! Laß mich in Ruhe, oder ich muß schießen!«
    Das aufrecht gehende Wesen mit dem Raubtierkopf fauchte und hob die Klauen.
    Hercule stöhnte auf. Es blieb ihm keine Wahl. Er mußte kämpfen.
    Und das tat er nun, nachdem er lange genug gewarnt hatte, mit der ihm eigenen Vehemenz.
    Er feuerte die Muskete ab. Und noch während der Schuß aufdröhnte und der Pulverdampf die Luft vernebelte, sprang Hercule das unheimliche Wesen an, um ihm die Muskete auch noch vorsichtshalber über den Kopf zu schlagen - für den Fall, daß er nicht richtig getroffen hatte, oder um das Leiden des Getroffenen zu verkürzen.
    Da erlebte er eine böse Überraschung!
    Er sah die große, furchtbare Wunde, die die Musketenkugel aus nächster Nähe in den Körper der Kreatur geschlagen hatte.
    Aber das störte diese Kreatur überhaupt nicht!
    Sie sprang Hercule ihrerseits an.
    Sie prallten heftig zusammen. Noch ehe Hercule mit der abgefeuerten Waffe zuschlagen und den ungleichen Kampf beenden konnte, noch ehe er richtig begann, war der