0635 - Das Grab der Sinclairs
verdammten Gruft befreien zu können.
Langsam sanken seine Hände nach unten. Auf den Wangen hatten sie warme Flecken hinterlassen, im Gegensatz zur Stirn, wo sich der kalte Schweiß gesammelt hatte.
»Ich muß lernen, mit meiner Furcht fertig zu werden!« flüsterte der Reporter. »Verdammt noch mal, ich muß es einfach lernen, sonst hat alles keinen Sinn.«
Patentrezepte gab es dafür nicht, die konnte ihm auch kein Psychologe sagen, denn jeder Mensch war ein Individuum und reagierte auch entsprechend auf verschiedene Situationen.
Bill wollte sich ablenken lassen, auch wenn es ihm bei dieser äußeren Umgebung schwerfiel.
Er blieb nicht mehr sitzen, stand auf und spürte, wie schwer seine Glieder geworden waren. Die Gelenke schmerzten, die Bänder dehnten sich, wenn er ging und seine eigenen Bewegungen als viel zu steif ansah. Dick und feucht lag der Dreck auf dem Boden, wo seine Sohlen hindurchglitten. Aus der Höhe hing etwas herab, durchstreichelte sein Gesicht, und Bill beging den Fehler, seine Lippen zu bewegen, so setzte sich das Zeug auf ihnen fest.
Bill widerte es an, er spie das Zeug aus, schlug mit der Hand nach, aber die Fäden klebten fest.
Dann ging er weiter, diesmal mit eingeschalteter Lampe, deren schmaler Kreis über die feuchte Wand geisterte und dort weitere Silberfäden aufblitzen ließ.
Es war vergebene Liebesmüh, nach einem Ausgang zu suchen.
Den einen gab es, und der befand sich dort, wo auch die breiten Steinstufen der Treppe endeten.
Das Licht glitt über die bleichen Gebeine der alten Toten hinweg, die längst aus den verfallenen Särgen gerutscht waren. Manche zeigten eine grünliche Schicht aus Schimmel, andere wiederum steckten ziemlich tief im Boden und schauten nur teilweise hervor.
Wieder andere sahen aus, als wären sie von einer Hand geworfen worden. Sie lagen von ihren ursprünglichen Sargresten ziemlich weit weg, aber Bill, der hineinleuchtete, fand keine Beigaben, die den Toten mit in die Särge gelegt worden waren.
Er hatte mit Schwertern und anderen Waffen gerechnet. Sie hätten die Zeit überstehen müssen, es steckte jedoch nichts weiter im Schlamm.
Die Wände bestanden aus dicken Steinen. Bill untersuchte sie genauer, klopfte sie ab. Obwohl sie sich an einzelnen Stellen porös zeigten, waren sie doch fest genug, um einen Ausbruch zu verhindern. Und die schwere Grabplatte konnte Bill ebenfalls nicht hochstemmen, obwohl er die Treppe nach oben ging und es auf der letzten Stufe stehend versuchte.
Da war nichts zu machen!
Stimmen hörte er nicht. Ob die Templer den kleinen Friedhof verlassen und wieder die Fahrt in ihre Heimat angetreten hatten, war nicht herauszufinden.
Hier unten herrschte die absolute Stille des Todes vor, in der ihm sein Atmen schon laut vorkam.
Lebendig begraben sein!
Wieder dachte der Reporter darüber nach. Woran würde er zuerst sterben? Ohne feste Nahrung konnte der Mensch Wochen durchhalten, aber nicht ohne Flüssigkeit.
Bill brauchte Wasser.
Schon jetzt lag seine Zunge klumpig im Mund. Noch ekelte er sich davor, die Feuchtigkeit von den Wänden zu lecken. Irgendwann würde ihn dessen Modergestank nicht mehr davon abhalten.
Dann würde der Verfall kommen. Der Mensch verlor die Kontrolle über sich und näherte sich immer mehr dem Zustand einer gepeinigten Kreatur, die nur mehr vom Überlebenstrieb gesteuert wurde.
Bill schob diesen Gedanken der Entmenschlichung weit von sich.
Nur jetzt nicht schon darüber zu stark nachdenken, sonst würde er sich nur verrückt machen.
Aber die Furcht blieb. Sie nagte in seinem Innern wie die Zähne einer Ratte. Je mehr Zeit verstrich, um so stärker wurde sie. Bill schränkte sich auch mit dem Licht ein. Er hatte im Dunkeln wieder seinen Platz eingenommen und dachte, um sich wenigstens etwas abzulenken, an seine Familie. An Sheila, an Johnny, seinen Sohn, auch an Nadine Berger, die einmal eine Wölfin gewesen war und sich nun von den Conollys getrennt hatte, wobei niemand wußte, wo sie sich aufhielt.
Getrennt hatte er sich auch von Frau und Sohn. Die wußten nur, daß er auf eine Reise nach Schottland gegangen war, um für einen Bericht zu recherchieren, mehr nicht. Er hatte Gordon Slane das Versprechen abgenommen, nichts zu sagen.
Es war ein Fehler gewesen…
Bill verlor auch das Zeitgefühl. Er hockte auf dem Sarg, den Körper vorgebeugt, ebenso wie den Kopf. Er starrte ins Leere, in diese wattige Finsternis, die ihm ganz anders vorkam als die nächtliche.
Viel dicker und
Weitere Kostenlose Bücher