0638 - Das Palazzo-Gespenst
die dumpfe Ahnung trieb in ihr hoch und sagte ihr, dass etwas passiert sein musste, denn Suko meldete und zeigte sich noch immer nicht.
Wo konnte er stecken? Nur auf dem Schiff - oder?
Sie betrat die Planke mit vorsichtigen Tritten, die sich unter ihrem Gewicht bog.
Nach wenigen Sekunden stand sie an Deck. Hier stank der Kanal besonders intensiv.
Nicht einmal die Wellen gluckerten oder schmatzten. Dieses Wasser lag still. Nur der Wind strich über die Oberfläche und ließ sie zittern.
»Suko?« Sarah Goldwyn zischelte den Namen, bekam allerdings keine Antwort und wurde noch nervöser. Sie strich über ihr Haar, als sie auf den Niedergang zuschritt.
Dabei konzentrierte sie sich auf die Stiege, deren weiche Holzstufen in die Tiefe führten und vor einer offenstehenden Tür endeten. Dahinter musste auch die Kajüte liegen, in der Suko sich so gut wie möglich eingerichtet hatte.
Er hätte sie hören müssen, auch wenn er schlief, denn Suko war ein Mensch, der von einem Geräusch sehr schnell aus dem Schlaf gerissen wurde.
Auch jetzt rührte er sich nicht.
Für Lady Sarah stand längst fest, dass etwas passiert sein musste. Man hatte Suko kalt erwischt, und eigentlich kam da nur ein Wesen in Frage, das Palazzo-Gespenst.
An Deck hatte Suko davon nichts gesehen, auch unter Deck zeigte sich der Geist nicht. Sie sah die Öffnung an der linken Seite, die Tür war nicht mehr vorhanden, und sie entdeckte Suko, der im Dunkeln auf der Koje lag.
Nur sein Umriss war zu sehen. Dass er nicht schlief, stand für Lady Sarah fest, denn sie hörte keine Atemzüge.
Eine eisige Nadel durchfuhr sie und drang mit der Spitze in ihr Herz. Es war einfach furchtbar. Keine Atemzüge zu hören, konnte bedeuten, dass Suko nicht mehr lebte.
Sie zitterte so stark, dass sie sich an der Wand abstützen musste, um nicht zusammenzubrechen.
Dann ging sie vor. Ihre Sohlen schleiften über die Planken. Noch immer war sie innerlich vereist. Ihre Augen brannten, weil sie zu lange in die Dunkelheit gestarrt hatte. In der schmalen Handtasche suchte sie nach Zündhölzern.
Das gleiche Reklamepäckchen war noch vorhanden. Zitternd rieb sie ein Streichholz an. Die Flammen vergrößerten sich, flackerten, als Lady Sarah ihre Hand bewegte und Suko, der auf dem Rücken lag, ins Gesicht leuchtete.
Im gleichen Augenblick schrie sie auf!
Lady Sarah war nicht so leicht zu erschüttern. Selbst der schreckliche Anblick der Leichen hatte sie nicht so tief getroffen wie dieses schlimme Bild.
Sukos Augen standen offen, die Pupillen wirkten darin wie starre Kugeln.
So etwas kannte Lady Sarah, denn so sahen die Augen eines Toten aus…
***
Sie zuckte und bewegte ihre rechte Hand, als das kleine Feuer der Flamme über ihre Haut streifte und sie ansengte. Das erloschene Zündholz schleuderte sie zu Boden und hätte die Flamme auch mit ihrem Tränenwasser löschen können, denn sie konnte sich nicht mehr zurückhalten.
Suko tot?
Es wollte ihr nicht in den Sinn, sie konnte es nicht begreifen, machte sich Vorwürfe, weil sie ihn mitgenommen hatte. Sie musste daran denken, dass quer über Sukos Brust noch die drei Riemen der Dämonenpeitsche lagen, deren Griff der Inspektor in der Hand hielt.
Ein Zeichen dafür, dass er sich gewehrt hatte, allerdings ohne einen sichtbaren Erfolg.
»Mein Gott, was ist hier passiert?« flüsterte sie und erkannte ihre Stimme kaum wieder. Sie wischte die Tränen ab und schalt sich gleichzeitig eine Närrin, dass sie dermaßen überzogen reagiert hatte.
Nun suchte sie nach der schmalen Zündholzschachtel, die ihr aus der Hand gefallen war, was sie nicht einmal bemerkt hatte.
Es dauerte eine Weile, denn erst dann hatte sich Lady Sarah so weit gefangen, dass sie wieder ein Streichholz anreißen und Suko damit anleuchten konnte.
Wieder zitterte die Flamme, streifte das Gesicht, spiegelte sich in den Pupillen, wo sie dunkle Reflexe warf, aber es war wie beim ersten Mal.
Kein Leben…
Sarah Goldwyn verbrauchte noch weitere Streichhölzer, bevor sie in der Lage war, Suko genauer zu untersuchen. Wenn er durch das Palazzo-Gespenst gestorben war, dann musste sich seine Haut ebenso kalt anfühlen wie die des Toten in der Halle.
Es kostete sie abermals Überwindung, sich dem Gesicht des Inspektors zu nähern.
Dann tastete sie mit den Fingerspitzen darüber hinweg - und wäre am liebsten im Boden versunken, denn die Haut fühlte sich ebenso kalt an wie die dieses Toten.
Lady Sarah fragte sich schon, was sie Sukos bestem Freund, John
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