0638 - Das Palazzo-Gespenst
tötete.
Musik, laute Stimmen, echtes und auch unechtes Gelächter schwangen ihr entgegen, als sie den Palazzo betrat. Die Menschen feierten, doch sie waren nicht glücklich darüber.
Irgendwo musste sich die Spannung lösen, sie wollten ihren Frust loswerden, und der Alkohol hatte dafür gesorgt, dass sie sich anders benahmen als sonst.
Niemand saß mehr starr auf seinem Platz. Sie alle waren aufgestanden und tanzten mit grotesk wirkenden Bewegungen über den alten Marmorboden des Palazzos.
Lady Sarah erinnerten diese Haltungen an einen Totentanz, ein letztes Aufbäumen vor dem Ende.
Sie betrat die Halle mit zögernden Schritten. Zuerst wurde sie nicht beachtet, dann sah ein älterer Mann sie, dessen weiße Haare durcheinandergewirbelt worden waren, wobei noch Spuren von Lippenstift an seinen Wangen klebten und er deshalb sehr den Eindruck eines Clowns machte, als den eines Tänzers.
»Kommen Sie, Mrs. Goldwyn, feiern Sie mit uns.«
»Nein, danke, ich will nicht.«
»Warum nicht? Wir leben, wir haben es überstanden! Viva - das Leben, und ein Hoch der Dekadenz!« Er lachte und kippte den Champagner in sich hinein.
Kopfschüttelnd ging Lady Sarah weiter. Im Hintergrund stand das Personal.
Der Ober rührte sich nicht vom Fleck. Er erinnerte Lady Sarah nicht nur an einen Pinguin, er hatte auch etwas von einem Stockfisch an sich.
Seine Augen besaßen eine kalten und auch amüsierten Glanz.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte er, als Sarah Goldwyn vor ihm stehenblieb.
»Ich möchte telefonieren. Kann ich von meinem Zimmer aus durchwählen, Signore?«
»Ich gebe Ihnen eine Leitung.«
»Danke.«
Einen Fahrstuhl gab es in diesem Haus nicht. Lady Sarah stieg die breiten Treppenstufen hoch bis zur ersten Etage und öffnete ihre Zimmertür. Ein großer Raum, ausgestattet mit kostbaren Möbeln, nahm sie auf.
Über dem Bett schwebte ein Baldachin. Das weiße Telefon stand auf einem kleinen Tisch direkt neben dem Bett, dessen Decke das Zimmermädchen längst aufgeschlagen hatte.
Im Licht der lüsterartigen Deckenlampe wählte Lady Sarah die Nummer des Geisterjägers. Es war ihr auch egal, ob sie ihn aus dem tiefen Schlaf riss. Schließlich ging es um Suko. Und sie war froh darüber, dass ihr die Brandi nicht mehr begegnet war. Außerdem hatte sie die Frau zwischen den feiernden Gästen nicht gesehen.
Dann hörte sie die verschlafene Stimme. »Ja, Sinclair…«
»Ich bin es, mein Junge…« Sie schluckte. »Bitte, jetzt mußt du mir genau zuhören…«
***
»Ich glaube, Suko ist tot!«
Dieser eine, verfluchte und schlimme Satz hatte mich endgültig aus meinen Träumen gerissen und mich wach gemacht. Was Lady Sarah mir mitten in der Nacht unterbreitet hatte, war eine der schlimmsten Horror-Nachrichten meines Lebens gewesen.
Natürlich hatte ich nachgefragt und von ihr alles erklärt bekommen. Dass ich nicht mit nach Italien gefahren war, hatte an meinem letzten Fall gelegen.
Ich war in Germany gewesen, um mich in einem Hexenmuseum umzuschauen, so hatte Suko die Horror-Oma dann begleitet. Selbstverständlich wollte ich so schnell wie möglich bei ihr sein. Bis Venedig fliegen, den kleinen Rest der Strecke mit einem Leihwagen zurücklegen, so sah mein Plan aus, den ich zuvor noch mit Sir James Powell, meinem Chef, absprechen wollte. Auch wenn es tiefe Nacht war, ich würde ihn wecken. Er hätte es mir sonst nicht verziehen.
Sir James zeigte sich ähnlich geschockt wie ich. Auf seine Frage konnte ich kaum Antworten geben, die würde ich vor Ort finden. »Fliegen Sie so bald wie möglich, John.«
»Okay, Sir.«
»Und holen Sie Suko zurück…«
Wir konnten beide nicht mehr reden. Ich kam mir wie unter Strom stehend vor. Mein Herzschlag hatte sich beschleunigt, und die Nachricht hatte meine Schweißdrüsen aktiviert. Gegen was hatten Suko und ich nicht schon alles gekämpft! Vampire, Zombies, schreckliche Monstren, keiner hatte den Inspektor geschafft. Da musste tatsächlich erst ein Gespenst kommen, um ihn dicht an den Rand des Todes zu bringen, wobei er möglicherweise diese Grenze schon überschritten hatte und nicht mehr lebte.
Daran wollte ich nicht denken.
Ich traf alle Vorbereitungen, die es zu treffen gab. Jane Collins rief ich nicht an. Den Fall in der Nähe von Venedig wollte ich allein lösen.
Dass ich mich wie in Trance bewegte, bemerkte ich kaum. Einen klaren Gedanken konnte ich nicht fassen, zu sehr waren meine Überlegungen mit Suko und seinem Schicksal beschäftigt.
War er tot oder
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