0638 - Das Palazzo-Gespenst
taten.«
»Wer hat ihnen denn Bescheid gegeben?«
»Ich war es nicht.«
Sarah nickte. Ihre Gedanken drehten sich bereits um andere Dinge. Ihr und Suko musste es gelingen, diesem killenden Geist das Handwerk zu legen.
»Gehen wir.«
»Gern.«
Diesmal ging Sarah Goldwyn vor. Sie atmete nur durch die Nase, denn dieser eklige Geruch sollte nicht noch mehr ihren Mund ausfüllen. Er hing sowieso in ihren Kleidern, und es würde lange dauern, bis er wieder verschwand.
Wieder an der Oberwelt, lehnte sich Lady Sarah gegen die Wand und atmete tief durch. Sie war sehr blass geworden, die Hände zitterten, und die Haut am Hals bewegte sich durch das heftige Schlucken.
Rosanna legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Sie hätten nicht in den Keller hineingehen dürfen, Sarah, das war nicht gut. So etwas ist nichts für schwache Nerven.«
Mrs. Goldwyn winkte ab. »Sagen Sie das nicht, ich bin stark, keine Sorgen.«
»Lassen Sie uns die schlimmen Dinge vergessen. Jetzt wird gefeiert. Wir sollten dabei sein. Hören Sie?«
In der Tat schallte ihnen der Stimmenklang aus der Halle entgegen. Dabei wirkte der Gang wie ein Trichter, dessen nackte Wände die Geräusche noch verstärkten.
»Sorry, aber es geht nicht.«
»Nein?«
»Ich kann nicht feiern, nachdem ich diesen Schrecken gesehen habe. Das ist unmöglich. So abgebrüht bin ich nicht. Ich muss jetzt für mich allein sein.«
Signora Brandi schaute sie an, bevor sie nickte. »Ja, das kann ich verstehen.« Sie lächelte. »Dennoch erlauben Sie mir, dass ich mich zu den anderen begebe.«
»Selbstverständlich.«
»Sehen wir uns noch?« fragte die Brandi beim Weggehen.
»Ich weiß es nicht.«
»Aber morgen sicherlich. Da wird die Spannung dann wieder steigen. Ein Rat von mir. Genießen Sie den kommenden Tag. Denken Sie daran, dass er Ihr letzter sein kann…«
***
Mit diesem Trost konnte Lady Sarah nichts anfangen. Sie wollte auch nicht weiter darüber nachdenken, denn es gab andere Dinge, die erledigt werden mussten.
Was in diesem prächtigen Palazzo passierte, war der kalte, brutale Horror. Das war einfach nicht zu verantworten, hier hatte der Tod sein Reich hinverlagert und schlug fast jeden Abend zu.
Es gab natürlich auch Tage, wo das Gespenst nicht erschien, in der Regel aber kam es.
Und ihm musste Einhalt geboten werden.
Sie stand im Garten und holte tief Luft, weil sie den Modergeruch aus dem Hals haben wollte. Die Luft war von einer eigenartigen Würze erfüllt, abgegeben durch die Blätter der sorgsam geschnittenen Hecken und getragen von der Feuchtigkeit, die der alte Kanal abgab, über dessen Wasser noch graue Dunsttücher hingen.
Laternen suchte sie im Garten vergeblich. Nur der Palazzo mit den vier gleichen Fassaden strahlte sein weiches Licht durch die Scheiben der Fenster.
Als Sarah weiterging, überkam sie das Gefühl, von der Welt der Lebenden hinein in die der Toten zu schreiten, wo die Romantik der Furcht und der Melancholie gewichen waren und die Luft von Geistern erfüllt wurde, die über den Garten tanzten.
Für sie war es eine Welt der Angst, durch die sie aber musste, wenn sie Suko erreichen wollte. Lady Sarah war froh darüber, den Inspektor mitgenommen zu haben. Bisher hatte Suko nicht einzugreifen brauchen, so war es auch zwischen ihnen abgesprochen gewesen, jetzt aber benötigte sie seine Hilfe. Zudem gab es auch Fakten, an die er sich halten konnte. Vier Leichen redeten eine deutliche Sprache.
Der große Garten schluckte sie. Rechts und links standen die Büsche wie hohe Wände, unter ihren Schritten knirschten die kleinen Steine, wenn sie zerbrachen.
Bäume umstanden die Wasserstraße und gaben ihr ein alleeartiges Aussehen. Lady Sarah öffnete das schmale Tor am Ende des Grundstücks und stand zwei Schritte danach im hohen Ufergras, wo sie erst einmal verharrte und sich umschaute.
Suko hatte sie nicht gesehen. Aber sein Boot sah Lady Sarah, es lag rechts von ihr. Ein Steg führte vom Ufer her auf das Deck. Davor blieb die Horror-Oma stehen, weil sie sich darüber wunderte, dass Suko noch nicht erschienen war. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er bereits schlief, denn es war ein nächtlicher Kontakt zwischen ihnen abgemacht worden.
Etwas stimmte da nicht…
Sie schaute auf das Wasser, über dem noch feuchte Schwaden lagen und allmählich in die Höhe stiegen, als wollten sie das Elend vergessen lassen.
Ein Elend, das Lady Sarah nur spürte, nicht sah. In diesen Augenblicken überkam sie ein nicht eben gutes Gefühl,
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