0639 - Merlins Zauberwald
kann es nicht«, sagte Merlin. »Ich bin durch ein Versprechen gebunden.«
»Auch das noch.« Gryf lehnte sich an die Wand, sah Merlin kopfschüttelnd an. »Das ist doch gequirlte Scheiße, Alter. Warum hast du ihr das Versprechen erst gegeben?«
»Ich konnte nicht anders.«
»Tja, und ich werde keinen Finger rühren, für dich in die Bresche zu springen! Da kann ich mich auch gleich selbst umbringen. Du wirst schon einen anderen Dummen finden müssen. Wie wär's mit Zamorra?«
»Ihn kann ich nicht fragen«, gestand Merlin. »Nicht in diesem Fall, denn er war noch nie in Broceliande. Du schon.«
»Und das ist eine Ewigkeit her. Tausend Jahre? Oder ein bißchen länger?«
»Nichts im Zauberwald verändert sich je«, sagte Merlin.
»Nächster Vorschlag: Assi«, sagte Gryf. »Der war schon in Broceliande.«
Merlin schüttelte den Kopf.
»Dich bat ich, mein Freund. Viel hängt davon ab, daß du die Hexenschwester am Erreichen ihres Zieles hinderst.«
»Und was ist dieses viel konkret und in Worten? - Ach was, du erzählst es mir ja doch nicht…« Der Druide winkte ab. »Schön, daß du hier warst. Laß dich bei Gelegenheit mal wieder hier sehen…«
Er wandte sich ab.
Er blieb stehen. Er spürte Merlins Blick wie einen Dolch in seinem Nacken.
Merlin schwieg immer noch.
»Du gibst nicht auf, wie?« fragte Gryf nach einer Weile.
Merlin antwortete nicht.
Da wandte Gryf sich ihm wieder zu. »In Ordnung, verdammt, ich mach's! Aber wenn dieses verdammte Rabenaas mich umbringt, bin ich die längste Zeit dein Freund gewesen!«
»Du darfst nur nichts falsch machen, dann geschieht dir auch nichts.«
»Ich glaube, ich habe gerade schon etwas falsch gemacht, als ich zugesagt habe. Himmel, die Hexe bringt mich um!«
»Glaubst du, daß das alles ist, was sie mit dir anstellt, wenn du versagst? Daß sie dich nur umbringt?«
Der Druide atmete tief durch.
»Du hast eine wahnsinnig tolle Art, andere zu motivieren«, brummte er. »Vielleicht sollte ich lieber dir den Hals umdrehen, statt mich mit Baba Yaga anzulegen. Dann habe ich wenigstens noch den Hauch einer Überlebenschance… Gehen wir, bringen wir's hinter uns!«
***
Baba Yaga flog nicht mehr durch den Wald. Sich auf festem Boden zu bewegen, war doch sicherer, wie sie recht bald herausfand. Denn das Laubwerk schien sich überall dort zu verdichten, wo sie flog, wurde zu einer Art Netz, in dem sie sich mit dem Ofen nur zu leicht verfangen konnte.
Der Wald beobachtete sie weiter. Sie mit einem Orkan hinauszuwirbeln, war zwar nicht gelungen, aber nach wie vor raunte und wisperte es in den Zweigen, schmiedeten die Bäume Pläne gegen Yaga. Und nicht nur die Bäume…
So ließ sie den Ofen wieder landen und auf seinen Beinen vorwärts stapfen. Unten auf den verwirrenden Pfaden war doch etwas mehr Platz als oben zwischen den Laubkronen. Zumal sie die Pfade von oben seltsamerweise nicht mehr richtig sehen konnte. Je höher sie stieg, desto verschwommener wurde der Boden unter ihr. Das überraschte sie; schon ein oder zwei Meter Höhe reichten aus, ihr Schwierigkeiten zu bereiten.
Und ganz nach oben vorstoßen, durch das Laubdach hindurch und dem Vollmond entgegen, konnte sie auch nicht. Zweimal hatte sie es versucht, und zweimal hatten die Bäume unmittelbar über ihr dichtgemacht, waren die Äste zu einem völlig undurchdringlichen Dickicht zusammengewachsen, das sie nicht durchstoßen konnte.
Also ging's unten weiter.
Für kurze Zeit fühlte sie sich beobachtet.
Natürlich - in diesem Wald lebten unzählige Lebensformen, und sie war sicher, aus dem Dickicht heraus von Hunderten von Augenpaaren angestarrt zu werden.
Aber das war es nicht.
Der Beobachter kam von außerhalb! Er befand sich nicht im Innern des Waldes!
Merlin?
War er es, der ihr nachspähte?
Oder sein Bruder, dem man nachsagte, ihm entgehe nichts, was sich auf dieser Welt abspiele?
Oder noch jemand anderer? Kurz dachte Yaga an den Spiegel des Vassago. Aber dessen Magie war anders. Yaga kannte sie, weil ihre eigene Magie konträr war. Vassagos Magie war das Wasser, die der Baba das Feuer.
Das Feuer und die Träume der Menschen, die sie zu manipulieren verstand…
Yaga, die Traumfrau…
Sie überlegte, ob sie versuchen sollte herauszufinden, wer ihr von außerhalb nachspionierte. Aber es war sicher nicht gut, sich jetzt mit Nebensächlichkeiten zu verzetteln. Wichtig war es, den Hinweis auf den Verbleib ihrer Tochter zu finden.
Alles andere - später!
Nicht jetzt!
Und plötzlich war
Weitere Kostenlose Bücher