0639 - So freundlich wie der Teufel
Takt. Sie machten jede Bewegung mit.
Nur Vernon Shrame saß unbeweglich, den Kopf voller schlimmer Gedanken. Er wollte abrechnen, nur wusste er nicht, wann der richtige Zeitpunkt gekommen war.
Die Voodoo-Queen tanzte noch immer selbstvergessen, und Shrame konzentrierte sein Augenmerk jetzt auf ihr Gesicht. Die Lippen waren nicht mehr geschlossen, der Mund stand offen, den Kopf hatte sie zurückgedrückt. Er konnte es nicht genau sehen, doch er nahm an, dass in den Augen ein selbstvergessener Ausdruck liegen musste.
Ihre Hände bewegten sich. Sie glitten sanft und manchmal fester über ihren Körper, wobei sie die Waffe nicht losließ. Dieser obszön wirkende Tanz widerte den Polizisten an. Nicht dass er prüde gewesen wäre, aber im Zusammenhang mit dem Mord war dies für ihn der Gipfel an Abartigkeit.
Diese Selbstvergessenheit der Frau musste er einfach ausnutzen. Wenn sie erst aus ihrer Trance erwacht war, würde alles anders sein.
Vernon Shrame hatte sich entschlossen. Keiner achtete auf ihn. Er spürte seine müden und alt gewordenen Knochen. Hinzu kam das lange Sitzen, deshalb schwankte er ein wenig, als er sich auf die Beine stellte, aber in einer geduckten Haltung blieb und dabei wirkte wie ein sprungbereiter Tiger.
Auf dem direkten Weg kam er nicht an den Altar heran. Er musste leider einen Bogen schlagen und die sitzenden Männer umgehen. Zwei Seiten standen zur Auswahl.
Vernon entschied sich für die rechte. Ihm gegenüber hockte der Trommler, der seine Hände bewegte, als hätte er nie zuvor etwas anderes getan. Das Wort Erschöpfung kannte er nicht, wie auch die anderen Voodoo-Diener in dieser Kirche.
Um nicht in den Lichtschein der Kerzen zu geraten, bewegte er sich auf die Wand zu und blieb auch in deren unmittelbarer Nähe, als er weiterschlich.
Sein Körper vermischte sich mit den Schatten nahe der Kirchenwand. Es sah so aus, als sollte er von ihnen aufgesaugt werden.
Die Spannung stieg an. Auch die Unsicherheit. Er wusste nicht, woher es kam. Vielleicht hätte er verschwinden und Hilfe holen sollen, dann aber wäre die Person auf dem Altar möglicherweise schon fort gewesen. Also war es besser, wenn er blieb.
Er wollte abrechnen. Die Bestie dort vorn hatte seine Frau erschossen, und er würde ihr die Ladung verpassen.
Seine Hände umklammerten die Waffe, als wäre sie seine letzte Hoffnung.
Für die Dauer einer halben Zigarettenlänge wartete er noch ab, überlegte hin und her, und ob er es schaffen konnte.
Tu es! Tu es deiner Frau zuliebe!
Der Befehl hämmerte in seinem Hirn. Er schwemmte alles andere in ihm fort.
»Ja!«, keuchte er. »Ja, verdammt!« Mit zwei großen Schritten verließ er den Schatten. Diesmal setzte er seine Füße hart und wuchtig auf. Auch wenn ihn jemand hörte, es war ihm egal.
Von der rechten Seite her näherte er sich dem Altar in einem schrägen Winkel.
Die Frau tanzte wie selbstvergessen. Mit den gespreizten Fingern der linken Hand fuhr sie durch ihr rötliches Haar und wühlte es auf.
Sie sah niemanden, sie bewegte sich nur. Der Cop holte tief Luft, bevor er seine Worte sprach.
»Wer immer du bist, wie immer du heißt!«, schrie er. »Ich bin gekommen, um dich zu töten!«
***
Ich runzelte die Stirn, hörte das leise Lachen des FBI-Beamten und seine anschließende Frage.
»Was ist los?«
»Dass es hier in New York so etwas gibt. Eine Insel mitten im Verkehr, auf der noch eine Kirche stehen soll.«
»Es gibt sie wirklich. Du kannst den Bau nur nicht sehen, weil er sich hinter den Bäumen versteckt.«
»Und sie besteht tatsächlich aus Holz?«
Abe hob die Schultern. »Ja, die Gemeinde damals hatte wohl kein Geld, da haben sie ihre Kirche aus Holz gebaut. Jetzt ist sie entweiht worden, und die Erbauer haben längst andere Domizile gefunden.«
Ein Wall aus Unterholz und Bäumen verdeckte die Sicht. Wir hatten unseren Wagen verbotswidrig abgestellt, was Abe nicht kümmerte. Solche Kleinigkeiten musste man vergessen.
»Teilen wir uns - oder…?«
»Lass uns erst zusammenbleiben, Abe«, sagte Suko.
»Okay.«
Zu dritt betraten wir die von einem regen Verkehr umbrauste Insel. Es war nicht einfach, sich durch das Unterholz zu winden, lautlos klappte es jedenfalls nicht.
Wir rechneten natürlich mit Aufpassern und atmeten auf, als wir sie sahen. Man ließ uns in Ruhe.
Der Verkehrslärm blieb als dumpfes Rauschen im Hintergrund zurück. Noch umgaben uns die grünen Mauern, deckten uns die Baumstämme, doch zur Kirche hin war das Gelände freier. Da
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