064 - Das Steckenpferd des alten Derrick
daß es weder zu vermieten noch zu verkaufen sei. Er verfolgte die Spur weiter und machte endlich ausfindig, daß es Mr. Walter Derrick gehörte. Das Stadtbauamt hatte angeordnet, daß das Haus nicht mehr vermietet werden dürfte, bis einige Umbauten vorgenommen würden. Möglich, daß Derrick darüber so erbost gewesen war, daß er das Gebäude überhaupt zerfallen ließ. Es war zwar auf dem Grundstücksmarkt zum Verkauf angeboten worden, doch war die Vernachlässigung so groß, daß niemand sich ernstlich dafür interessierte.
Die letzte Mieterin war eine Miss Belfer gewesen, die dort auch gestorben war, und zwar noch zu Lebzeiten des alten Mr. Derrick. Seit ihrem Tod stand das Haus leer. An dieses Haus hatte Walter Derrick wohl gedacht, als er Staines damals mitteilte, daß sein Vater ihm sonst nur wertlose Grundstücke hinterlassen habe. In den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hatte es einem religiösen Orden gehört, und nach dessen Auflösung ging der Besitz in die Hände des alten Derrick über. Das Haus hieß noch heute ›St. Anna‹, es hatte eine eigene Kapelle gehabt, die aber inzwischen als Garage umgebaut worden war. Die gotischen Spitzbogen waren noch jetzt zu sehen.
Es war die dritte ruhig verlaufene Nacht, und Staines wunderte sich auf dem Nachhauseweg, von Tommy nichts mehr gehört zu haben. Walter Derrick dagegen hatte ihm schon vor zwei Tagen mitgeteilt, daß er nach Schottland fahren wolle, und sich erkundigt, ob er bei der Leichenschau des ermordeten Lordy Brown dabeisein müsse. Staines hatte daraufhin bei den zuständigen Stellen angefragt und den Bescheid erhalten, daß man auf die Aussagen Derricks verzichten könne. An diesem Vormittag nun hatte die Leichenschau von Lordy Brown stattgefunden. Die Geschworenen waren zu der Meinung gelangt, daß Brown mit einem Komplicen in Derricks Haus eingebrochen und dort mit ihm in Streit geraten sei, in dessen Verlauf ihn der andere erschossen habe. Offenbar war eine mit Schalldämpfern versehene Schußwaffe verwendet worden, denn weder Staines noch Tommys Diener hatten auch nur das geringste Geräusch gehört.
Es dunkelte schon, als der Inspektor endlich Wealds Haus betrat. Minns erwartete ihn an der Haustür.
»Eine Dame wünscht Sie zu sprechen, Mr. Staines. Ich habe sie in den Salon geführt.«
»Wie sieht sie denn aus?«
»Sie nannte ihren Namen, Sir - Miss Dane!«
Der Inspektor schob den Diener zur Seite und stürmte in den Salon, wo ihn Mary Dane lächelnd erwartete.
»Habe ich Ihnen wirklich so viel Kopfzerbrechen gemacht?«
fragte sie anzüglich.
Er errötete.
»Kopfzerbrechen? Ach so - Tommy? Er hat wohl wieder geschwätzt?«
»Ja, das hat er. Sie wissen doch, daß er die meiste Zeit damit vergeudet. Können Sie ihn nicht in London festhalten?«
»Wo treibt er sich denn gegenwärtig herum?«
»Gestern war er in Margate. Er hatte nämlich gehört, daß Mr. Cornfort hinfahren wollte. Nun, ich werde die Krankeilpflege bald an den Nagel hängen!«
»Endlich!« rief er aus.
Er wußte nicht, warum er sich über diese Mitteilung freute - aber es war tatsächlich der Fall. »Warum?« fragte sie erstaunt.
»Ich glaube nicht. . . Nun, ich halte es nicht. . . Ich denke, die Arbeit ist zu schwer für Sie -«, stotterte er verlegen.
»Sie bekommt mir aber. Sie haben ja auch einen anstrengenden Beruf, Mr. Staines, nicht wahr?«
»Er bekommt mir aber!« imitierte er sie lachend. »Leider büße ich dabei langsam meinen guten Ruf ein.«
Sie blickte ihn überrascht an und machte dann eine Kopfbewegung in Richtung zum Nebenhaus hinüber.
»Meinen Sie ...?«
»Ja, Browns und all des anderen wegen«, gab Staines zu. »Haben Sie die Berichte gelesen?«
»Gelesen und auch davon gehört. Tommy sorgt dafür, daß ich auf dem laufenden bleibe.«
»Ich möchte nur wissen, warum er sich dauernd bei Ihnen herumtreibt?«
Im nächsten Augenblick hätte er sich für diese idiotische Frage ohrfeigen mögen.
Sie lachte, und auch er stimmte sorglos mit ein. Seit Mary Dane hier im Zimmer weilte, fühlte er sich merkwürdig wohl. »Sie haben ihn wohl becirct?« fragte er scherzend. »Ja - wenn Sie meinen, ob ich ihn zu seinem Flirt ermutigt habe, so muß ich das zugeben. Es war zwar nicht sehr nett von mir, und ich möchte mir selbst die größten Vorwürfe machen, aber - die Tatsache bleibt nichtsdestoweniger bestehen.«
Er hatte bis jetzt Tommys Schwärmerei nicht besonders tragisch genommen. Aber hatte sein Freund doch ernste
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