064 - Das Steckenpferd des alten Derrick
saß Ihr Vater am liebsten.«
»Wir sind uns, glaube ich, nie begegnet, wie?« fragte Derrick.
»Nein, Sie waren auf der Schule. Ein einziges Mal kamen Sie nach London, aber ich war gerade auf Urlaub. Ihren Vater kannte ich sehr gut. Er war ein netter Mensch, nicht gerade leutselig, aber man mußte ihn achten.«
»Wußten Sie, daß er wieder heiratete?«
»Nein, ich hatte keine Ahnung davon.«
»Wie lernten Sie meinen Vater eigentlich kennen, Inspektor?«
»Durch seine Fingerabdrucksammlung. Ich stand mit ihm, bis ich zur N.-Abteilung versetzt wurde, in reger Korrespondenz.
Nebenbei bemerkt, Mr. Derrick - ich bin der gleichen Meinung wie Ihr Vater. Auch ich glaube, entgegen der allgemeinen Auffassung, daß Fingerabdrücke sich wiederholen.«
»Mein Vater glaubte an Dubletten, nicht wahr?« »Ja, und mit Recht. Er hatte Fingerabdrücke zu Tausenden. Von Verbrechern, anständigen Leuten, Pastoren, Bankbeamten, was Sie wollen. Wo immer er es durchführen konnte, besorgte er sich die Handabdrücke der Leute, mit denen er in Berührung kam. Sie lachten ihn aus und ... Nun ja, wir alle haben eine gewisse Antipathie dagegen, unsere Fingerabdrücke herzugeben. Auch ich schreckte ein wenig davor zurück, als er mich für sein ›Familienalbum‹ - so nannte er seine Kartei - darum bat. Er hatte außerdem noch ein kleines rotes Büchlein mit Lederecken, in dem er alle Abdrücke aufbewahrte, die von Personen seines Haushalts oder seiner näheren Umgebung stammten - also von ihm selbst. Ihnen, der Haushälterin, von mir, und so weiter.«
Gedankenvoll starrte Derrick vor sich hin.
»Natürlich«, sagte er dann, »jetzt erinnere ich mich des Buches. Ich muß fünfzehn Jahre alt gewesen sein, als er mich in sein Arbeitszimmer rief und meine Fingerabdrücke für das Buch abnahm ,.. «
»Ja, vier Finger und den Daumen, genauso, wie es bei der Polizei gehandhabt wird. Ihr Vater war in dieser Beziehung ein Fanatiker.« Der Sohn seufzte.
»Ja, das war er! Die Episode war mir ganz aus dem Gedächtnis entschwunden. Das Buch habe ich seither nicht mehr zu sehen bekommen.«
»Irgendwo hier muß es ja sein«, meinte der Inspektor. »Seltsam, daß Sie es noch nicht gefunden haben, Mr. Derrick!«
»Ja, das rote Buch, ich erinnere mich - eine Art Album . .. Ob auch die Fingerabdrücke meiner Mutter darin waren?«
»Nein, ich glaube nicht. Ihr Vater fing ja erst nach dem Tode Ihrer Mutter an. Fingerabdrücke zu sammeln.«
Bald darauf ging Endred. Als er auf die Straße kam, stieß er mit Staines zusammen, der gleichzeitig aus dem Wealdschen Hause trat.
»Na, Endred«, begrüßte ihn Dick, »stimmt drüben was nicht?« »O nein. Ich habe mich nur mit Mr. Derrick über alte Zeiten unterhalten.«
»Ach ja, natürlich - er wollte mit Ihnen sprechen.« Die beiden gingen zusammen weiter.
»Gehen Sie zum Yard, Staines? In fünfunddreißig Tagen werde ich pensioniert und ...«
»Und bekommen Ihren silbernen Teepott - ja, Endred, darauf können Sie sich verlassen«, schnitt ihm Dick lachend das Wort ab. Er rief ein Taxi herbei und schob den alten Inspektor, trotz seines Protestes, in den Wagen. »Ja, ich weiß, man soll viel zu Fuß gehen - aber man soll es auch nicht übertreiben. Wie geht es Mr. Derrick?«
»Das ist ein feiner Mann«, versicherte Endred. »Einer vom alten Schlag. Ich erwähnte, daß ich pensioniert würde, und da.. .«
»Da erbot er sich, hundert Pfund zu spenden?« »Mehr: Hundert Guineen! Woher wissen Sie das?« Dick schmunzelte. »Ich ahnte es.«
»Wir sprachen über die Fingerabdrucksammlung seines Vaters, doch er konnte sich nicht einmal auf das ›Familienalbum‹ besinnen.«
»Was ist das für ein Album gewesen?« erkundigte sich Dick. Nun wiederholte Inspektor Endred die genaue Beschreibung und die Auskünfte, die er vorhin schon Mr. Derrick gegeben hatte.
»Was?« Dick sah seinen Begleiter an. »Sie kennen das Buch? Was für Abdrücke waren noch darin?«
Endred zählte die Namen auf, soweit er sich ihrer erinnern konnte.
»Das sind, glaube ich, alle, das heißt, wenn nachher nicht noch einige aufgenommen wurden.«
Inspektor Staines hörte schon nicht mehr zu. Er klopfte an die Scheibe und ließ den Wagen anhalten.
Sie befanden sich ganz in der Nähe von Scotland Yard.
»Ich muß mich beeilen«, sagte er zu Endred. »Der Chef hat mich bestellt, und ich bin schon zu spät.«
Er sprang aus dem Wagen und ging die paar Schritte zu Fuß.
26
Vor dem Eingang zum Yard sah er einen alten Mann stehen, der
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