064 - Das Steckenpferd des alten Derrick
konnte. Gemeinsam nahmen sie unter dem improvisierten Dach Platz. Tommy umarmte seine Braut. Lange saßen sie schweigend da. Auf einmal richtete sich Tommy auf.
»Jane, mein geliebtes Mädchen, ich habe dich etwas Wichtiges zu fragen.«
Sie seufzte.
»Vor deinen Fragen habe ich Angst.«
Aber er ließ sich nicht davon abbringen.
»Bist du in Dick Staines verliebt, Jane?«
Sie schien sich die Antwort zu überlegen.
»Ich kann ihn gut leiden - soweit ich ihn kenne, ist er wirklich ein netter Mensch.«
Er räusperte sich, ehe er die Frage stellte, von deren Beantwortung sein persönliches Glück abhing.
»In allem Ernst, Jane, bist du nicht in ihn verliebt? Ich will dich natürlich nicht beleidigen, aber er ist doch ein hübscher Mann, und ich - ich bin dagegen ein Ekel! Du weißt, was ich sagen will! Ob du nicht vielleicht doch mit ihm glücklicher . . .« »Du sprichst Unsinn, Tommy!« tadelte sie ihn. Etwas wie Trotz klang aus ihrer Stimme. »Ich kenne niemand, den ich mehr als dich liebe. Glaubst du mir nun?« »Was?« fragte er vorsichtig. »Daß du niemand kennst, den du mehr liebst?«
»Natürlich kenne ich niemand. Ich liebe dich! Warum, weiß ich nicht. Das weiß überhaupt kein Mädchen, warum es gerade den einen Mann liebt.«
Doch Tommy liebte keine ungeklärten Fragen. Er ging allem auf den Grund. Wie kam es, daß seine Braut ihm, Tommy, in Dick Staines' Gegenwart so steif gegenübertrat?
»Na, es wird schon stimmen, was du sagst«, räumte er endlich großmütig ein. »Ich hatte mir wirklich Sorgen gemacht, Liebling. Du und Dick, ihr scheint euch so gut zu verstehen, daß ich oft mehr als eifersüchtig wurde.«
Sie drückte zärtlich seinen Arm und sagte vorwurfsvoll: »Dann hast du dich eben wie ein kleines Kind benommen.«
Das Haus stand an einer Straßenkreuzung und war rings von einem mit niedrigem Gebüsch eingefaßten Garten umgeben. Die beiden Verliebten konnten von ihrem Platz aus alle Umrisse erkennen, die sich gegen den Horizont abhoben. Tommy hatte ein ausnehmend feines Gehör. Er war es, der die Gartentür leise sich öffnen und wieder schließen hörte. »Wer kommt da?« fragte er.
Das Mädchen befreite sich aus seiner Umarmung und stand auf.
»Hörtest du etwas, Tommy?«
Bevor er darauf etwas antworten konnte, tauchte vor ihnen eine Männergestalt auf, die hinkend den Weg überquerte und gleich darauf im Gebüsch verschwand.
»Heiland -«, flüsterte der Lord erregt, »das war doch der alte Cornfort?«
Er kannte dieses hagere Gesicht, die wirren grauen Haare, die Adlernase...
»Unsinn, Tommy«, gab sie unwirsch zurück, »Mr. Cornfort schläft.
Das war ein anderer Pensionär des Hauses, der da eben vorbeiging.«
»Du schwindelst, süße Jane. Wenn das nicht eben der weiland oder beinahe weiland Mr. Cornfort war, fresse ich einen Besen!«
Für einen Augenblick schien sie die Fassung zu verlieren.
»Vielleicht hast du auch richtig gesehen«, lenkte sie ein. »Warum soll er nachts nicht ein wenig bummeln gehen?«
Er merkte, daß ihre Stimme zitterte. Plötzlich riß sie sich von ihm los, lief über den Rasen und verschwand im Haus. Nach wenigen Minuten schon kam sie, in Begleitung des alten Henry, wieder heraus.
Der Rollstuhlführer war für den Lord schon immer ein rätselhafter Mensch gewesen. Stets hatte er ihn in Begleitung seiner Braut gesehen und war zu der Überzeugung gelangt, daß der Alte als lebendes Zubehör einfach in Kauf genommen werden müsse.
Miss Dane und Henry flüsterten aufgeregt miteinander, und Tommy glaubte sogar: › Verdammt noch mal!‹ verstanden zu haben. Nun eilte der Rollstuhlführer auf die Straße hinaus, und Mary setzte sich wieder.
»Wir brauchen uns den Kopf nicht zu zerbrechen«, meinte sie. »Mr. Cornfort hat öfter mal derartige Anwandlungen von Energie. Ich bin nicht sehr erbaut von seinen Ausgängen, denn wie leicht kann er dabei einen Anfall bekommen und stürzen.«
»Was ihm natürlich nicht allzu gut bekommen würde«, bemerkte der Lord. »Der alte Cornfort! Stell dir nur einmal vor - den ganzen Tag läßt er sich im Rollstuhl herumkutschieren, um nachts zu Fuß Eskapaden zu unternehmen!«
»Das Gehen tut ihm unserer Meinung nach gut. . .« Tommy schien es, als spannte sie ihre ganze Aufmerksamkeit an, um jeden Laut von der Straße her aufzufangen. In der Nähe hörte man den Lärm von Fehlzündungen, und Jane erschrak so, daß sie fast das Gleichgewicht verloren hätte.
»Horch, Tommy!« flüsterte sie. »Was war das?«
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