064 - Der Frauenhexer
habe mich zu weit übers Balkongeländer gelehnt, habe den Halt verloren und bin heruntergefallen“, antwortete Thorsten Thorn.
„Großer Gott! Sind Sie verletzt?“
„Nein, Nur Hautabschürfungen. Meine linke Seite schmerzt, aber das ist nur eine Prellung.“
„Da hatten Sie mehr Glück als Verstand, Thorsten. Sie hätten sich den Hals brechen können. Wie konnten Sie nur so unvorsichtig sein.“
Draußen krachten die Donnerschläge, zuckten die Blitze und tauchten für Bruchteile von Sekunden alles in grelles Licht. Der Regen rauschte. Plötzlich ertönte ein Poltern aus dem Speisesaal.
Ein Kameramann und ein Schauspieler gingen hinein, um nachzusehen. Sie kamen bald zurück.
„Lindas Bild …, das Gemälde jener Roxane von Falkenfels ist heruntergefallen.“
„Wenn es weiter nichts ist“, meinte Thorsten Thorn. Schwankend und noch immer blaß erhob er sich. „Ende der Vorstellung. Die Akteure gehen zurück auf ihre Plätze.“
Linda folgte ihm die Treppe hinauf. Im ersten Stock bog Thorn in den Hotelflur ab. Nach seinem Schrei und dem Füßetrappeln auf der Treppe hatten viele die Zimmertüren geöffnet, standen im Flur und debattierten, was jetzt wohl geschehen wäre.
Viktor Schultz-Breitenberg kam Linda und Thorsten entgegen.
„Können wir Sie einen Augenblick allein sprechen?“ fragte Thorn.
Schultz-Breitenberg gab die Tür frei. Sein Bett war zerwühlt. Er setzte sich auf die Couch, bot Thorn und Linda Platz an.
„Was gibt’s?“ fragte der Regisseur.
Thorn berichtete kurz von seinem Sturz. Schultz-Breitenberg schenkte ihm einen doppelten Kognak ein, für sich und Linda gleich auch einen.
Thorn leerte das Glas in einem Zug.
„Sie wissen noch nicht, wie es zu dem Sturz kam“, sagte Thorsten Thorn. „Ich sah eine dunkle Gestalt auf dem Balkon, als ich mit Linda im Bett lag. Natürlich rannte ich gleich hinaus. Ein Mann stand vor mir. Er war bleich und hatte ein Feuermal auf der linken Gesichtshälfte, das konnte ich erkennen, denn für einen Augenblick stand er im Lichtschein, der aus dem Zimmer fiel. Er war groß, so groß wie ich. Ich packte ihn am Kragen, und er packte mich. Seine Hände waren kalt wie Eis. Er hatte Bärenkräfte, denn er hob mich hoch wie eine Puppe und warf mich über das Balkongeländer hinunter in den Hof. Es war reines Glück, daß ich unverletzt davonkam.“
Schultz-Breitenberg musterte Thorn skeptisch.
„Sie drehen morgen nicht“, sagte er. Er sah auf die Uhr. „Das heißt eigentlich heute, denn es ist schon halb eins. Ich werde einen Arzt bestellen. Vielleicht haben Sie sich doch verletzt, Thorsten.“
„Sie glauben mir nicht! Sie glauben, ich stünde unter einem Schock oder ich hätte mir den Kopf angeschlagen. Linda, sag du es Viktor. Was hast du gesehen und gehört?“
Auch Linda war nun blaß geworden.
„Ich habe niemanden gesehen außer dir, als du hinausliefst. Dann hörte ich dich schreien. Als ich auf den Balkon kam, war er leer.“
Thorn konnte es nicht begreifen.
„Hier geht doch irgend etwas vor“, rief er. „Gestern dieser Unheimliche, der stöhnte und mit seinen Ketten rasselte. Die Vorfälle bei den Dreharbeiten. Die Kröten. Mein Sturz vom Balkon. Ich glaube nicht an Geister, Viktor, aber jetzt fange ich an, an meinem Verstand zu zweifeln.“
„Sie brauchen Ruhe“, sagte Schultz-Breitenberg. „Einer von den Arbeitern wird bei Ihnen im Zimmer Wache halten, Thorsten.“
„Ich bin doch kein kleines Kind, das im Dunkeln Angst hat.“
„Nun brausen Sie doch nicht gleich auf. So ein Sturz aus dem zweiten Stock ist keine Kleinigkeit. Der Mann soll Sie beobachten, denn ich möchte nicht, daß Sie um sieben Uhr tot im Bett liegen. Es ist möglich, daß Stunden später durch ein Blutgerinsel im Gehirn Komplikationen auftreten. Also widersprechen Sie mir nicht, wenn ich jemand zu Ihnen schicken will.“
Thorsten Thorn erklärte sich einverstanden.
„Gehen Sie einstweilen schon, Thorsten. Schicken Sie Reuter, den Regieassistenten, zu mir. Wir sprechen uns morgen wieder. Jetzt habe ich mit Linda noch etwas zu bereden.“
Thorn nickte und verließ das Zimmer. Draußen schauten ihn alle neugierig an, doch niemand stellte ihm eine Frage. Er traf den Regieassistenten auf der Treppe und schickte ihn zu Schultz-Breitenberg.
Als der Regieassistent eintrat, hörte er, wie Schultz-Breitenberg zu Linda Scholz sagte: „Es war also sicher niemand auf dem Balkon. Ist Ihnen in der letzten Zeit etwas an Thorsten aufgefallen? Redet er
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