064 - Der Frauenhexer
Thorsten Thorn gewandt, fügte der Regisseur noch hinzu: „Ruhen Sie sich aus, Thorsten, machen Sie einen Spaziergang. Dr. Heydenreich wird gegen zwölf Uhr hier sein. Ich nehme an, Sie können heute mittag schon wieder drehen.“
Er klopfte Thorsten Thorn freundschaftlich auf die Schulter und ging mit den anderen hinaus. Thorsten Thorn sah ihnen nach, wie sie durch die Tür des Speiseraums drängten. Linda gab ihm einen flüchtigen Kuß, dann war auch sie weg.
Thorn saß noch da, als zwei Kellner die Tische abzuräumen begannen. Dann erhob auch er sich, ging hinaus.
Die Luft war frisch und würzig, kein Wölkchen stand am Himmel. Thorn sah einen Bauern mit seinem Traktor vor das Hotel fahren. Der Mann trug einen verblichenen blauen Arbeitsanzug und derbe Schuhe. Er ging ins Foyer des Hotels. Neugierig geworden, folgte ihm Thorsten Thorn und wurde Zeuge, wie der Bauer mit dem Hotelbesitzer sprach.
„Du hast doch Telefon“, sagte der Bauer. „Ich muß den Tierarzt anrufen.“
„Was gibt’s denn, Jochen? Das Vieh krank?“
Der Bauer nickte.
„Bei allen sechs Kühen war die Milch heute morgen ganz blutig. Hoffentlich gehen sie nicht ein. Hast du heute morgen den Sonnenaufgang gesehen, Rüger?“
„Nein“, antwortete der Hotelbesitzer. „Ich muß früh aufstehen, aber so früh doch nicht.“
Wieder nickte der Bauer.
„Der Himmel war gelb wie Schwefel“, sagte er. „So einen Sonnenaufgang habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Als stecke die Sonne den Horizont in Brand.“
Er senkte die Stimme. „Das geht nicht mit rechten Dingen zu, Rüger. Ich sage dir, da ist Hexerei im Spiel. Das kommt alles nur, weil diese Filmleute den Film drehen über den Hexer Signefeu und die Grafentochter Roxane. Es bringt nichts Gutes, in den alten Geschichten herumzustöbern. Die wußten damals schon, warum sie den Signefeu einmauerten. Du weißt doch, was mit dem Mann geschah, der damals um 1900 das Galgenwirtshaus wieder herrichtete und bewohnen wollte?“
Der Hotelbesitzer winkte ab. Thorsten Thorn, der unbemerkt hinzugetreten war, stellte die Frage.
„Was war denn mit dem Mann?“
„Erhängt hat er sich“, antwortete der Bauer. „Und einen Brief hat er hinterlassen, er müsse es tun. Etwas zwinge ihn dazu. Seitdem wohnte niemand im Galgenwirtshaus. Es zerfiel wieder.“
Der Hotelbesitzer nahm den Bauern am Arm, führte ihn zum Telefon. Dann kam er zu Thorsten Thorn zurück.
„Die Landbevölkerung ist sehr abergläubisch“, sagte er.
„Bei allem, was hier so vorkommt, wundert mich das nicht“, antwortete Thorn. „Haben Sie einen Anhaltspunkt, wer für den Spuk in der vorletzten Nacht verantwortlich sein könnte?“
Der Hotelbesitzer zuckte zusammen.
„Um Gottes willen, lassen Sie das bloß den Bauern nicht hören.“
Thorsten Thorn verließ das Hotel. Er machte einen Spaziergang über die sonnenbeschienenen Felder, zum Wald hinüber. Es war kühl im Schatten der Bäume, und die Waldluft roch würzig.
Nach dem Spaziergang fühlte sich Thorn ruhiger. Sicher gab es für die unheimlichen Vorkommnisse eine natürliche Erklärung. Es mußte eine geben.
Thorsten Thorn studierte anschließend im Hotel bis zum Mittag seine Rolle. Gegen zwölf Uhr kam ein kleiner, magerer Mann in den Aufenthaltsraum, in dem sich Thorn befand. Er schüttelte ihm die Hand.
„Ich bin Dr. Heydenreich. Sie hatten einen Unfall, Herr Thorn?“
„Allerdings.“
Dr. Heydenreich begleitete Thorn auf sein Zimmer. Er untersuchte ihn gründlich, tastete seinen Kopf ab.
„Spüren Sie hier einen Schmerz?“
„Nein.“
„Oder da?“
„Nichts.“
Dr. Heydenreich packte das Stethoskop und die anderen Instrumente wieder ein. Er nahm ein kleines Diktaphon aus seinem Arztkoffer, schaltete es ein.
„Patient Thorsten Thorn äußerlich ohne Befund“, sagte er ins Mikrophon. „Wobei noch keine endgültige Diagnose gestellt werden kann. Eine Fraktur erscheint ausgeschlossen.“
Er schaltete ab.
„Erzählen Sie mir doch, wie es zu dem Sturz vom Balkon kam. Herr Schultz-Breitenberg hat mir bereits am Telefon alles geschildert, doch ich möchte es gern noch einmal von Ihnen hören.“
Geduldig berichtete Thorn, wie er auf den Balkon hinausgestürzt war, wo der Mann mit dem Feuermal ihn angriff. Dr. Heydenreich unterbrach ihn nicht.
„Haben Sie in der letzten Zeit vielleicht ein Rauschgift genommen, Herrn Thorn?“
Thorn sprang auf.
„Jetzt reicht es mir. Muß ich mir denn von allen möglichen Leuten Unterstellungen
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