064 - Der Frauenhexer
und über die Felder, bis zu dem sonnenbeschienenen Fluß.
Gilbert Signefeu sah das blonde Mädchen an. Seine Hände führten seltsame Gesten aus. Er zeichnete Figuren in die Luft. Seltsame, unverständliche Worte kamen aus seinem Mund. Es war Roxane, als verdüstere sich das Sonnenlicht.
„Seht den Fluß, Roxane!“
Die Sonne stand heiß und grell am Himmel, denn es war Juli. Doch den Fluß überzog eine dicke Eisschicht, wie im kältesten Winter. Auf dem Eis begannen blaue und rote Flammen zu tanzen. Sie wirbelten umher, bildeten ein gespenstisches Geisterballett. Ein Singen und Klingen erfüllte die Luft, eine wilde, diabolische, nie gehörte Melodie.
Roxane von Falkenfels erschauerte bis ins Mark. Gilbert Signefeu klatschte in die Hände. Roxane blinzelte, als sei sie gerade aus einem Traum erwacht. Der Fluß lag im Sonnenlicht, glänzte wie ein silberner Spiegel, genau wie zuvor. Außer dem Zirpen der Grillen und dem Zwitschern einer Lerche war kein Ton zu vernehmen.
„Ihr … Ihr seid ein Hexer, Signefeu“, stammelte Roxane.
Der hochgewachsene Mann verzog verächtlich die Lippen.
„Wie wäre es jetzt mit einem Zeichen Eurer Gunst, Roxane? Ich würde alles tun, um Eure Zuneigung zu erringen.“
Roxane blickte in die dunklen Augen. Wider Willen fühlte sie sich zu Signefeu hingezogen. Sie streifte ihren Handschuh ab, gab ihn dem Mann. Er führte ihn an die Lippen.
„Das Zeichen meiner Gunst“, flüsterte Roxane.
Sie wandte sich um, rannte davon. Sie raffte ihren schwarzen Rock, lief so schnell sie konnte. Hinter sich hörte sie die Stimme Signefeus: „Morgen abend bei der alten Eiche. Vergeßt es nicht. Kommt!“ Es klang wie ein Befehl.
Roxane wußte, daß sie kommen würde. Sie konnte nicht anders.
Es klopfte an der Tür. Linda Scholz erwachte, war im ersten Augenblick noch in ihrem Traum gefangen. Die Stimme des alten Max brachte sie in die Wirklichkeit zurück.
„Es ist sieben Uhr, Linda. Sie müssen aufstehen.“
Linda gähnte, reckte und räkelte sich im Bett. Die schlimmen Ereignisse seit ihrer Ankunft im Hotel kehrten wieder. Die Traumbilder verblaßten.
Linda zog die Rolläden hoch. Sonnenlicht flutete ins Zimmer. Sie duschte, putzte die Zähne, zog sich an. Kurze Zeit später war sie im Speiseraum. Auch Thorsten Thorn war da.
„Das ist doch Unsinn, mich heute von den Dreharbeiten auszuschließen“, sagte er gerade zu Schultz-Breitenberg.
„Sie drehen nicht, bevor Dr. Heydenreich Sie nicht untersucht hat“, sagte der Regisseur bestimmt. „Es handelt sich hier nicht nur um einen Film mit Produktionskosten in Höhe von einer Million Mark, es handelt sich vielmehr um Ihre Gesundheit, Thorsten.“
Verärgert setzte Thorsten Thorn sich an einen freien Tisch, an dem auch Linda Platz nahm. Der Regisseur begrüßte sie freundlich.
„Gut geschlafen, Linda?“
„Danke. Sie auch?“
Schultz-Breitenberg antwortete höflich. Thomas Leupolt erzählte ein paar Witze, um Stimmung in die Gesellschaft zu bringen. Leonora Rycka lachte ausgelassen, bemühte sich, die düstere Atmosphäre zu zerstreuen, die über den Filmleuten lastete. Doch nur wenige gingen darauf ein.
„Der Boden ist naß und matschig“, sagte Schultz-Breitenberg am Nebentisch. „Ich habe veranlaßt, daß heute einige der Einstellungen in den Gewölben gedreht werden. Wir müssen uns ranhalten, denn wir sind bereits am ersten Drehtag in Verzug geraten.“
„Ja, das Wetter“, sagte der hagere Produktionsleiter. Er hieß Marksen. „Ich war von Anfang an dagegen, in Deutschland zu drehen.“
„Darüber haben wir genug diskutiert“, winkte der Regisseur ab. „Der Film kann nur in Deutschland gemacht werden. Die Szene, die wir gestern nicht hinbekamen, drehen wir morgen. Im August ist das Wetter auch in Deutschland beständig genug, um einwandfreie Außenaufnahmen zu garantieren. Das Wetteramt hat ein vierwöchiges Hoch vorausgesagt.“
„Hat es auch vorausgesagt, daß unsere Stars Gespenster sehen?“ fragte Marksen spitz.
Thorsten Thorn sprang auf. Sein Stuhl fiel zu Boden.
„Wollen Sie mir etwa unterstellen, ich hielte die Dreharbeiten absichtlich auf, Herr Marksen?“
Bevor Marksen antworten konnte, mischte Schultz-Breitenberg sich ein.
„Keinen Streit. Jeder tut seinen Job. Wir arbeiten miteinander, nicht gegeneinander. Von Ihnen, Herr Marksen, möchte ich keine spitzen Bemerkungen mehr hören. Und Sie, Thorsten, gehen nicht gleich hoch wie eine Rakete. Los, Leute, an die Arbeit.“
Zu
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