064 - Der Frauenhexer
Jahrhundert.
Thorn parkte, stieg aus. Der Psychiater, ein begeisterter Freund alter Häuser und Gebäude, erzählte Thorn eine Menge über die Fachwerkhäuser, die Kirche, die aus dem 15. Jahrhundert stammen sollte, das alte Rathaus und den Brunnen mitten auf dem Marktplatz. Thorn hörte kaum hin.
„Wo ist das Pfarrhaus?“ fragte er einen Passanten.
Dieser deutete auf ein hohes, schmalbrüstiges, schiefergedecktes Haus gegenüber der Kirche.
„Dort, dieses Haus.“
„Was haben Sie vor, Thorn?“ wollte Dr. Heydenreich wissen.
„Ich möchte mir die alte Stadtchronik ansehen. Vielleicht können wir ein paar interessante Dinge erfahren über diesen Gilbert Signefeu, den ich im Film darstellen soll.“
Eine weißhaarige Haushälterin brachte die Männer zum Pfarrer. Benefiziat Hammer war ein kahlköpfiger, knorriger, alter Mann. Seine großen Hände mit den breiten Handgelenken sahen wie aus Tonerde geformt aus. Hammer wirkte eher wie ein alter Bauer als wie ein Geistlicher.
„Was kann ich für Sie tun, meine Herren?“ fragte er freundlich.
„Wir gehören zu den Leuten, die beim Galgenwirtshaus und auf Burg Falkenfels einen Film drehen“, sagte Thorn. „Ich spiele die Rolle jenes Gilbert Signefeu, der 1583 wegen Hexerei lebendig eingemauert wurde.“
Ein Schatten flog über das Gesicht Benefiziat Hammers.
„Es wäre besser gewesen, diese Dinge ruhen zu lassen. Dieser Drehbuchautor sagte mir, er schreibe ein historisches Werk über Hexenprozesse in Deutschland. Hätte ich gewußt, daß er an einem Filmdrehbuch arbeitet, nie hätte er die Informationen von mir bekommen.“
In knappen Sätzen erzählte Thorsten Thorn dem Pfarrer alles, was sich seit der Ankunft der Filmgesellschaft ereignet hatte. Hammer hörte schweigend zu, ohne Thorn zu unterbrechen.
„Das ist sehr, sehr schlimm“, sagte er, als Thorn geendet hatte. „Ich hörte schon viele Gerüchte, die in der Stadt umherschwirren. Doch ich hielt das meiste für Gerede. Da Sie jetzt aber alles bestätigen, bedeutet das, daß …“
„… Gilbert Signefeu aus seiner Gruft gestiegen ist“, beendete Thorsten Thorn den Satz.
Benefiziat Hammer nickte. Dr. Heydenreich lachte spöttisch.
„Sie werden doch nicht solchen Unsinn glauben! Wir leben im 20. Jahrhundert. Hexerei und Zauberei gibt es nicht.“
„So? Glauben Sie? Das Böse ist in mancherlei Gestalt gegenwärtig. Kommen Sie, meine Herren, ich will Ihnen etwas Interessantes zeigen.“
Der Benefiziat erhob sich mühsam, humpelte, auf seinen Stock gestützt, aus dem Zimmer. Er führte die Besucher in den ausgebauten Keller unter dem Pfarrhaus. Auf Regalen standen dort in der kühlen, trockenen Luft alte in Leder gebundene Folianten. Der Benefiziat deutete auf einen im obersten Regal. Thorsten Thorn holte ihn herunter.
Der Benefiziat öffnete die alte Akte.
Thorsten Thorn sah dem alten Mann über die Schulter, aber er konnte nicht entziffern, was auf dem vergilbten Pergament stand, denn der Text war in lateinischer Sprache abgefaßt. Der Anfangsbuchstabe jedes Abschnittes war jeweils mehrere Zentimeter hoch, kunstvoll verschnörkelt und verziert.
„Das ist ein Protokoll der Verhandlung gegen Gilbert Signefeu, drei Hexen und die unglückliche Roxane. Leider ist das Protokoll nicht vollständig. Doch hören Sie hier eine Textstelle, die die Untaten des Hexers beschreibt:
’ … auch plagt er gar viel Mensch und Tier mit arger, garstiger Krankheit und Not. Er konnte fliegen durch die Luft und war nicht zu sehen am hellen Tag, dieweil er unsichtbar geworden durch Kräfte, die ihm der Böse verliehen. Am Tag, an dessen Abend der Hexensabbat stattfinden sollte, ging die Sonne schwefelgelb auf, als stiege sie direkt aus der Hölle, und die Kühe gaben blutige Milch. Wer sich aber Signefeus Feindschaft zugezogen, den brachte er sicher in den Tod. Er zog gar viele Weiber an, die ihm als Hexen anhingen, und das Burgfräulein Roxane, die seine Buhlin war …’
Finden Sie es nicht merkwürdig, daß Dinge, die sich jetzt tatsächlich ereignen, in dieser jahrhundertealten Chronik aufgeführt sind, Dr. Heydenreich?“
„Vielleicht kannte auch der Bauer, der von dem Sonnenaufgang und den Kühen erzählte, die Chronik“, meinte der Psychiater unsicher.
„Oder nehmen Sie diese Stelle, die einen Spuk Signefeus beschreibt:, … tappte der Hexer stöhnend, kettenrasselnd und eisenklirrend durch die Burg Falkenfels, setzte jeden in Angst und Schrecken, der seiner angesichts ward. Denn Tür
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