0641 - Grabgesang
Reitern näherte. Die Indianer bewegten sich äußerst schnell, und die Art, wie sie ausschwärmten und sich verteilten, deutete darauf hin, daß sie nicht unbedingt freundlicher Gesinnung waren.
Sie würden angreifen.
Zwei einzelne Weiße waren für sie eine leichte Beute.
Eva hoffte auf eine Gefangennahme. Dann entrann sie sicher dem seltsamen Bann, den der Graue über sie gelegt hatte. Es hieß, blonde Mädchen würden den Rothäuten sehr gefallen. Vielleicht würden sie Eva versklaven. Aber dann hatte sie immerhin eine Chance, davonzukommen. Auf welche Weise auch immer Nichts konnte schlimmer sein als die Gefangenschaft an der Seite des Grauen.
Aber dann waren die Indianer fort. Von dem Dorf war nichts mehr zu sehen, auch die Landschaft hatte sich verändert. Eva sah sich erschrocken um. Ganz weit entfernt, hinter ihnen, sah sie eine schwärzliche Dunstglocke am grauen Horizont, und ein paar dünne Rauchfäden stiegen empor, um sich mit dem schwarzen Dunst zu vermischen.
An der Kleidung des Grauen gab es ein paar rötlichbraune Flecken auf dem Leder, die vorher noch nicht da gewesen waren. Und Eva stellte fest, daß auch ihre Kleidung hier und da gelitten hatte. Es gab ein paar Risse im Stoff und auch ein paar Blutflecken.
Am Sattel des Grauen hingen Perücken, die vorher noch nicht dagewesen waren.
Nein, das war falsch. Es waren keine Perücken. Es waren Haar und Kopfhaut von Menschen. Der Graue hatte Indianer skalpiert.
Es mußte zu einem sehr blutigen Kampf gekommen sein. Und Eva hatte die Befürchtung, daß der Graue sich nicht nur damit zufriedengegeben hatte, einen Angriff zurückzuschlagen. Es mußte noch viel mehr geschehen sein. Die Rauchfahnen am Horizont… Hatte er das Indianerdorf niedergebrannt? Er, ein einzelner Mann gegen ein ganzes Dorf?
Irgendwie war sie in diesem Fall froh, nichts davon zu wissen. Der neuerliche Zeitsprung hatte ihr höchstwahrscheinlich etliche grauenhafte Dinge erspart, die ihr sonst Alpträume verschafft hätten. Es war so schon schlimm genug; Eva verfügte von Natur aus über eine rege Fantasie und konnte nicht verhindern, sich vorzustellen, was geschehen war. Wie der Graue aus seinen Feuerwaffen um sich geschossen hatte, wie er Indianer niederstach, niedermetzelte…
»Warum hast du das getan?« schrie sie ihn an. »Du bist ein Mörder!«
»Ich gebiete nun über einige Seelen mehr«, sagte er und klopfte auf die Skalpe, die er säuberlich an den Ösen befestigt hatte, die am Sattelleder angebracht waren.
Fast war sie froh, daß er endlich wieder etwas sagte - obgleich es sie entsetzte.
»Was meinst du damit?« stieß sie erschrocken hervor. »Seelen? Bist du ein Dämon?«
»Ich bin Niemand«, wiederholte er. »Die Indianer glauben, daß jemand, der ihnen mit dem Haar die Kraft und die Seele nimmt, im Jenseits über sie gebieten kann. Und die Spanier bezahlen für Indianerskalps.«
»Wir sind also unterwegs zu einer spanischen Ansiedlung?« fragte sie.
Doch er antwortete nicht mehr.
Eva fragte sich, ob es keine Möglichkeit gab, diesem Mann zu schaden oder ihn sogar zu töten. Er war ein skrupelloser Killer.
Doch solange er sie in seinem Bann hielt, kam sie nicht gegen ihn an. Sie konnte immer noch keine Magie an ihm feststellen, die sie ihm vielleicht hätte entreißen können. Das verstand sie nicht. Wie konnte er seine Zeitraffer-Sprünge durchführen, wenn nicht mit Hilfe von Magie?
Die Angst in ihr wurde immer größer.
Angst vor einem furchtbaren Ende.
Denn die graue Landschaft unter einem grauen Himmel erinnerte sie immer mehr an jenen grauen Friedhof, den sie sah, sobald sie die Augen schloß.
Immer noch.
***
Die Wachsoldaten am Tor des Forts nahmen es mit den Kontrollen sehr ernst. Zamorra und Nicole mußten absteigen, wurden ausgiebig nach dem Woher und Wohin befragt, ihre Waffen wurden aufmerksam registriert - zumindest jene, die in diese Zeit paßten. Vorsichtshalber hatte Zamorra hier nicht die allermodernsten Waffen ausgewählt, um kein Mißtrauen zu erregen - zwei Jäger, die durch die Wildnis streiften, konnten sich wahrscheinlich so teures Mordwerkzeug überhaupt nicht leisten.
Nicole verhielt sich schweigsam, um sich nicht durch ihre Stimme zu verraten; wenn sie einmal reden mußte, weil jemand sie direkt ansprach, rettete sie sich in künstliche Heiserkeit, die sie hin und wieder durch Husten unterstrich.
»Nicolas ist nicht das, was man besonders redselig nennt«, erklärte Zamorra. »Ist auch ganz gut so. Wenn er mal anfängt,
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