0641 - Grabgesang
Boden unter ihr zu schwanken.
Erschrocken riß sie die Augen wieder auf.
»Wo bin ich denn jetzt?« stieß sie entsetzt hervor.
Sie saß nicht auf einem Pferderücken, sondern auf einer Hängematte in einem winzigen Zimmerchen, das sich schaukelnd hin und her bewegte. Durch ein kleines Fensterluk fiel ein wenig Licht, und Eva sah draußen grauen Nebel und - Wasser!
Eine schier endlose Wasserwüste!
Sie befand sich in einem Schiff!
Draußen der Ozean! Was, um Merlins Willen, ging hier vor? Was hatte dieser neuerliche Sprung zu bedeuten? Er mußte wesentlich größer gewesen sein als die bisherigen Einschnitte. Aber warum das alles?
Was hatte der Graue mit ihr vor? Warum entführte er sie auf den Ozean?
Sie fror.
Ihre Seele fror, aber auch ihr Körper. Es war kalt im Schiff, und es gab keine Heizung. Die winzige Kabine besaß nichts, was auf eine Feuerstelle hinwies. Eva erhob sich und ging zur Tür. Die war verschlossen. Heftig rüttelte das Para-Mädchen an der Klinke und hämmerte mit den Fäusten gegen das Holz, rief laut. Aber niemand antwortete.
Befand sie sich in einem Geisterschiff?
Inzwischen hielt sie fast alles für möglich.
Sie sah sich in ihrer Kabine um. Eine Hängematte als Bettersatz, ein kleiner Tisch, ein Stuhl, an der Wand ein paar Haken, um Kleider oder sonstige Dinge daran aufzuhängen. Das Fensterchen ließ sich öffnen, war aber so klein, daß kein Mensch sich hindurchzwängen konnte. Wände, Boden und Decke waren aus grobem Holz, an dessen hervorstehenden Splittern man sich durchaus verletzen konnte. Offenbar hatten die Zimmerleute sich beim Bau dieses Schiffes nicht sonderlich viel Mühe gegeben.
Hoffentlich brach der Seelenverkäufer nicht mitten auf dem Ozean auseinander!
Ein paar der Nägel, mit denen die Bretter zusammengehalten wurden, sahen doch recht rostig aus…
»Ich muß hier raus«, flüsterte Eva.
Es gab ja nicht mal sanitäre Einrichtungen in der Kabine. Wenn überhaupt, dann gab es vermutlich nur so etwas wie eine Gemeinschaftstoilette irgendwo an Bord, die sie sich mit einem Haufen rauhbeiniger Seeleute teilen mußte. Und wenn's ganz schlimm kam, war die Toilette der Ozean selbst…
Sie begutachtete die Tür. Das Schloß schien recht simpel konstruiert zu sein.
Eva überlegte.
Dann machte sie sich daran, einen der rostigen Nägel aus der Wand zu ziehen. Es war schwierig und anstrengend, aber mit der Zeit konnte sie ihn lockern und freibekommen.
Damit konnte sie nun den Schloßmechanismus zu bearbeiten versuchen.
Sie wollte sich nicht einfach hier einsperren lassen!
Nicht hier, nicht jetzt und nicht so. Niemals. Und von niemandem!
***
Zamorra und Nicole sahen sich kurz in der Stube um, die Eva als Quartier im Mannschaftshaus gedient hatte.
Nichts deutete darauf hin, daß sie geplant hatte, das Fort zu verlassen. Sie mußte es völlig überraschend getan haben. Zwar hatte jemand inzwischen ein wenig aufgeräumt, aber ein paar persönliche Kleinigkeiten befanden sich noch hier, von denen Nicole behauptete, daß jemand, der fort will, sie bestimmt nicht zurücklassen würde.
»Entführung?« fragte Zamorra leise.
»Wer weiß?« gab Nicole ebenso leise zurück. »Aber dann wäre es interessant zu erfahren, wer hinter dieser Entführung steckt. Rob deutete damals an, daß unsere Aktion Astaroth gar nicht so sehr gefallen haben solle. Der ist ja so was wie der dämonische Schirmherr für den amerikanischen Kontinent; zumindest Nordamerika dürfte seine Domäne sein. Und vielleicht will er sich nun an Eva dafür rächen, daß wir dieses Krakenbiest umgebracht haben.« [6]
Zamorra sah kurz zur Tür. Ihren Fremdenführer hatten sie gebeten, draußen zu warten. Den ging nicht unbedingt alles an, was sie hier zu besprechen und zu sondieren hatten.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Astaroth oder einer seiner Untergebenen dahintersteckt«, überlegte Zamorra. »Der hätte bestimmt eine große Show daraus gemacht, um uns zu schockieren. Vielleicht hätte er uns Eva vor die Füße gelegt, auf eine besonders dramatische Art und Weise getötet. Aber sie ist einfach weg, und es gibt keinen Hinweis darauf, wohin sie gebracht worden ist. Einen solchen Hinweis hätte Astaroth bestimmt auch hinterlassen oder hinterlassen lassen. Hm, seltsame Formulierung… Dazu kommt, daß er überhaupt nicht wissen konnte, daß wir ausgerechnet jetzt hier auftauchen. Schließlich ist auch in der Dämonenwelt bekannt, daß wir uns dank Merlins Ringen nicht an einen bestimmten
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