0644 - Der Leichenfürst von Leipzig
sah sehr trostlos aus. Die Hauswände zeigten ein trauriges Grau, selbst die Fenster konnten es nicht auflockern. Hier hatte die Umweltkatastrophe voll zugeschlagen.
Suko hielt den Wagen an. Nicht weit entfernt sah er eine Laterne. Kinder schauten ihm zu, wie er ausstieg. Ein Junge wollte wissen, ob er aus Vietnam käme.
»Nein, warum?«
»Siehst aber so aus. Wir haben hier in der DDR viele, die aus Vietnam kommen. Die sollen aber wieder weggehen.«
»Wer sagt das?«
»Meine Eltern.«
»Schon gut.« Suko ging nachdenklich weiter. Auch in diesem Land war der Ausländerhass nach der Wende zu Tage getreten, das empfand Suko als eine schlimme Begleiterscheinung.
Das Haus, in dem die Zeugin wohnte, sah aus wie alle anderen. Nicht besser, nicht schlechter.
Suko suchte vergeblich nach einer Klingel. Dafür war die Haustür nicht verschlossen. Er drückte sie auf. Ein dunkler Flur lag vor ihm. Die Wände rochen muffig. Das Treppenhaus lag im Blickfeld.
Trotz des schlechten Lichts sah der Inspektor die altersschwachen Stufen und das ebenfalls nicht sehr vertrauenswürdig aussehende Geländer.
Er musste in die erste Etage. Auf dem Weg dorthin begegnete ihm niemand. Vom Flur zweigten die Türen zu mehreren Wohnungen ab. Suko wusste, dass die Frau Schulz hieß. Er sah das einfache Pappschild, das an der Tür klebte.
Er klopfte.
Zunächst erfuhr er keine Reaktion. Als er anfing, sich Sorgen zu machen, wurde die Tür aufgezogen, und ein faltiges Gesicht schaute ihn an. Auf dem Kopf wuchs graues Haar. Ungekämmt hing es zu beiden Seiten herab.
Sehr misstrauisch schaute sie Suko an. »Ja, was wollen Sie von mir, Herr?«
»Mein Name ist Suko.«
»Klingt komisch.«
»Ich bin Chinese und komme aus London. Ich möchte mich mit Ihnen über eine gewisse Erika unterhalten.«
»Warum?«
»Ich bin von der Polizei.«
Frau Schulz verlangte den Ausweis, den Suko ihr zeigte. Damit konnte sie nicht viel anfangen, aber sie hatte den Namen Scotland Yard schon gehört, und der flößte ihr Vertrauen ein.
»Dann kommen Sie mal rein.«
»Danke.«
Frau Schulz hielt Suko die Tür auf. Er konnte die Wohnung betreten und wurde von der Einrichtung her irgendwie an die der Sarah Goldwyn erinnert.
Auch hier standen sehr alte Möbel, sie wirkten aber nicht so gepflegt, da fehlte das Geld.
Suko entschuldigte sich noch einmal für sein Eindringen, doch Frau Schulz winkte ab.
»Setzen Sie sich ruhig. Möchten Sie etwas trinken?«
»Danke, nein.«
Grete Schulz nahm ihm gegenüber Platz. Sie trug einen geblümten Kittel und Hausschuhe. »Dabei war sie nicht einmal schlecht, die Erika. Aber sie konnte den Verlockungen des Geldes nicht widerstehen. Sie hielt nichts von Sparen, von harter Arbeit, sie wollte schnell reich werden.«
»Was sie nicht geschafft hat?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe sie nur sterben sehen, und es ist furchtbar gewesen. Das verfolgt mich noch heute in meinen Träumen. Ich wache oft schweißgebadet auf und sehe das Schreckliche dann immer wieder vor mir.«
»Den Tod des Mädchens?«
»So ist es.«
»Und Sie haben einen Mörder gesehen, Frau Schulz?«
Sie streckte den Zeigefinger aus und bewegte ihn von einer Seite zur anderen. »Nein, Herr Inspektor, ich habe keinen Mörder gesehen, wirklich nicht.«
»Wer oder was war es dann?«
»Ich sah einen Schatten. Einen Schatten, der plötzlich da war und das Mädchen umfasste.«
»Wo kam er her?«
Sie lachte und nickte dabei. »Das ist es eben. Er - er war selbstständig.«
»Das ist schwer zu verstehen.«
»Ja, Inspektor, ja. Für mich auch. Für die Polizei ebenfalls, aber es war so. Ich lüge nicht, ich füge nichts hinzu, ich lasse auch nichts weg, wenn Sie verstehen. Ich sage Ihnen die ganze Wahrheit. Der Schatten hat Erika umgebracht.«
»Da war doch ein Kunde…«
»Dieser Mann mit dem schwarzen Hut. Der hat es gesehen, der hat zugeschaut, aber nicht eingegriffen. Können Sie sich das vorstellen? Er schaute einem Mord zu. Einfach so. Ich - ich kann es heute noch immer nicht fassen. So etwas will nicht in meinen Kopf, Herr Inspektor. Das ist nicht fassbar.«
»Bitte weiter.«
»Ich bin dann vom Fenster weggegangen, glaube ich. Dann lief ich nach unten.«
»Der Kunde war verschwunden?«
»Natürlich. Weg - einfach so.«
»Sie haben nicht gesehen, wo er hinging?«
»Die Straße hoch oder hinunter. Eine andere Möglichkeit blieb ihm ja nicht.«
»Den Kunden kannten Sie nicht, Frau Schulz?«
Sie setzte sich aufrecht. »Wissen Sie, Inspektor, mit
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