0644 - Der Leichenfürst von Leipzig
könnte? Haben Sie Nachforschungen betrieben?«
»Es blieb beim Versuch.«
Auch ich trank. »Dann kann ich also nur darauf hoffen, dass ich irgendwann einmal in einem von Menschen überfüllten Leipzig auf van Akkeren treffe.«
»Das wäre eine Möglichkeit.«
Ich schüttelte den Kopf. »So etwas glauben Sie doch selbst nicht, Mischke.«
»Ich bin nur Mittler.«
Ich schaute einer Touristengruppe nach, die im Gänsemarsch an unserem Tisch vorbeiging und vergeblich nach freien Plätzen Ausschau hielt. Die Gesichter der Menschen zeigten Unwillen, sie waren verschwitzt. Manche zeigten auch Wut.
»Da wäre noch etwas«, sagte ich.
»Und was?«
»Dieses tote Mädchen. Eine gewisse Erika Meinhardt.«
»Ja, die kleine Nutte hat es erwischt.« Mischke lachte bellend. »Ihr persönliches Pech.«
Mir gefielen die Worte nicht, mit der Mischke die Tote bedachte, ich sprach ihn allerdings nicht darauf an, sondern wollte etwas anderes von ihm wissen.
»Wieso stehen die Fachleute bei ihr vor einem Rätsel?«
»Sie wurde erdrückt, erwürgt, und zwar eiskalt. Als wäre das Blut gefroren.«
»Und es gibt eine Zeugin, nicht?«
Mischke rückte mit seinem Stuhl zurück, bevor er die Beine schräg ausstreckte. »Die gibt es in der Tat. Und sie hat von einem Schatten gesprochen, der das Mädchen killte. Glauben Sie das, Sinclair?«
»Ich halte es zumindest nicht für unmöglich, auch wenn es sich kaum erklären lässt.«
»Ein mordender Schatten? Ich weiß nicht, ich…« Er schaute zu Boden, weil er dort etwas entdeckt hatte. Vielleicht hatte er auch was verloren, jedenfalls nahm der Fußboden sein Interesse in Anspruch. Er bewegte auch den Kopf nach rechts und links, suchte bei verschiedenen Stellen nach, was mich misstrauisch machte.
»Ist da was?«
Mischke richtete sich auf. Er hatte einen roten Kopf bekommen und nickte. »Ja, Sinclair, da habe ich was gesehen.«
»Was denn?«
Er öffnete den Mund, sprach aber noch nicht. Dafür veränderte sich der Ausdruck seiner Augen, denn so etwas wie Angst stahl sich hinein. »Es ist komisch«, hauchte er über den Tisch hinweg.
»Aber ich habe da tatsächlich etwas gesehen.«
»Was denn?«
Er bewegte seine Augenbrauen. »Sie - Sie werden es kaum glauben. Einen Schatten.«
Ich lächelte nicht, obwohl mir danach zumute war. »Schatten gibt es hier genug. Jeder Mensch…«
Mischke winkte heftig ab. »Nein, nein, da war kein Mensch dabei. Sie - Sie verstehen mich nicht.«
»Der Schatten nur…«
»Genau, nur so.« Er lächelte und stand auf. »Pardon, aber ich habe eine schwache Blase. Bin gleich wieder da.«
»Gut.« Ich schaute ihm nach, als er in Richtung Toiletten marschierte. Natürlich dachte ich über den Schatten nach, über die tote Frau und wie sie ums Leben gekommen war. Hatte Mischke den Schatten hier tatsächlich gesehen? So recht nahm ich ihm das nicht ab. Es erschien mir einfach zu unwahrscheinlich. Wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten, gerade hier im Keller. Da konnte man sich leicht täuschen. Hinzu kam die Atmosphäre, auch die Historie. Mein Blick glitt über die bemalte und mit Intarsien bestückte Decke, über der sich der Rauch als dicke Wolken gesammelt hatte.
Jeder Nichtraucher qualmte hier mit.
Plötzlich fühlte ich mich unwohl. Es war kein körperliches Unwohlsein. Mein inneres Alarmsystem hatte sich gemeldet.
Was war da?
Ich senkte den Kopf und schaute nach vorn, mitten hinein in den Betrieb, wo mir trotzdem etwas auffiel.
Es war ein Mann, der den Keller betreten hatte. Dunkel gekleidet, mit einem Hut auf dem Kopf. Da Schwarz schon seit Jahren eine Modefarbe war, fiel er hier nicht auf. Wenigstens den anderen Gästen und der Bedienung nicht.
Mir schon…
Dieser Mann, so langsam und locker er auch daherschritt, strahlte etwas aus, das mir nicht gefiel.
Ihn umgab eine Aura, die bei mir einen leichten Schauder erzeugte. Obwohl er nicht in meine Richtung schaute, wurde ich das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden, und zwar allein von ihm.
Wer war dieser Mann? Ein Fremder? Ein Mensch, ein Dämon? Der Bote des Teufels?
Die Begriffe wischten durch meinen Kopf und vermengten sich zu einem wirren Brei an Gedanken und Vermutungen. Ich erinnerte mich an die Worte meines Gesprächspartners, und mir fiel auf, dass ich von ihm seit ein paar Minuten nichts mehr gesehen hatte.
Zu lange?
Ich stand auf, gab dem Ober sicherheitshalber einen Schein, verzichtete auf das Wechselgeld und ging dorthin, wo Mischke verschwunden war. Auf halbem
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