0644 - Der Leichenfürst von Leipzig
Weg schaute ich mich um.
Der Fremde stand neben einem Tisch, zudem im Licht, aber er warf keinen Schatten.
Ich blieb stehen, irritiert…
Keinen Schatten?
Menschen werfen Schatten, aber er nicht.
Ich hoffte, ihn noch bei meiner Rückkehr vorzufinden, denn gewisse Fragen hatte ich an ihn. Zuvor aber wollte ich die Toilettenräume aufsuchen, um mit Mischke zu reden.
Ich schlüpfte durch einen offenen Durchgang in die weiteren Gewölbe des Kellers.
Hier hallten die Stimmen der Menschen von den kahlen, aber bekritzelten Wänden wider. Kaum hatte ich die Tür zur Herrentoilette geöffnet, als ich den Schlag spürte.
Nein, keinen Schlag, es war eine eisige Berührung, die über meinen Körper hinweghuschte, auch das Kreuz berührte und es zum Reagieren brachte.
Unwillkürlich ging ich einen Schritt zurück, drehte mich um, schaute den Gewölbegang entlang und glaubte, etwas Dunkles über die rechte Wand hinweghuschen zu sehen.
Ein Schatten?
Ich wischte über meine Augen, schaute wieder hin, aber er war verschwunden.
Die Gefahr jedoch bestand. Nicht grundlos hatte mich das Kreuz durch sein Erwärmen gewarnt.
Im Moment nicht für mich, aber ich dachte an Mischke, und meine Sorgen wurden größer.
Ich huschte in den Toilettenraum. Der Waschraum war groß. Zahlreiche Becken bildeten an einer Wand eine Reihe. Das kalte Licht schimmerte auf dem rissigen Steinboden. Der Durchgang zu den Kabinen und Becken bildete eine Schwingtür, die ich aufstieß, in den Raum hineinlief und Mischke sah.
Er lehnte an der Wand gegenüber, bleich, unendlich bleich, und mein Herzschlag beschleunigte sich.
Mit wenigen langen Schritten war ich bei ihm. Er starrte mich an, sagte aber nichts.
Ich redete mit ihn, fasste ihn an. Das war genau das Falsche, doch es brachte mir den Beweis.
Mischke kippte nach links weg - wie eine Puppe, in der kein Leben mehr war.
Ich fing ihn auf und sah jetzt, dass ich einen Toten in den Armen hielt…
***
Die folgenden Sekunden dehnten sich zu kleinen Ewigkeiten. Ich kam mir so allein vor, dachte an den Schatten und an die dunkle Gestalt, die ich gesehen hatte.
Wohin mit dem Toten?
Es gab nur eine Möglichkeit, ihn zu verstecken. In einer der Toilettenkabinen.
Bevor andere Gäste kamen, schleifte ich ihn auf die letzte Kabine zu und zerrte die Tür auf. Wie ein Brett lag er in meinen Armen. Ich spürte, wie kalt er geworden war. Sein Blut schien sich in Eis verwandelt zu haben, das wiederum erinnerte mich an das tote Mädchen, das ebenfalls so kalt gewesen war.
Hinsetzen konnte ich den Toten nicht, deshalb lehnte ich ihn in die Ecke, wo sich die beiden Wände von verschiedenen Seiten her trafen und er so einen gewissen Halt fand.
Das musste reichen.
Ich verließ die Kabine, schloss die Tür und hoffte, dass andere Gäste nicht gerade die letzte Kabine benutzen wollten. Zwei gingen durch andere Türen, als ich den Raum verließ.
Im Gang sah ich nur die kahlen, grauen Wände, keinen Schatten, der unnormal darüber hinweghuschte, nur die der Gäste, die zu den Toiletten eilten.
Ich drängte mich in das Lokal, das mir inzwischen noch gefüllter erschien als zuvor. Da standen Gäste hinter anderen, die an den Tischen saßen, aßen, tranken und so bedrängt wurden, schneller zu verzehren.
Ich suchte den Schwarzgekleideten!
Zuletzt hatte ich ihn in der Nähe des Ausgangs gesehen, aber dort stand er nicht mehr.
Überhaupt war er nicht zu sehen. Der Mann musste das Lokal verlassen haben.
Auch ich ging. Der Platz vor dem Keller war brandvoll.
Ich suchte ungefähr fünf Minuten lang, doch den Mann bekam ich nicht mehr zu Gesicht.
Mir blieb nichts anderes übrig, als die deutschen Kollegen zu informieren. Eines stand für mich fest.
Ich hatte es nicht nur mit Vincent van Akkeren zu tun, sondern zusätzlich noch mit einer zweiten Person, die van Akkeren an Gefährlichkeit in nichts nachstand.
Kein gutes Gefühl, sich dermaßen umklammert zu wissen…
***
Suko war mit dem Lada einigermaßen zurechtgekommen. Weniger gut mit den Straßen von Leipzig, denn die Zeugin wohnte in einer Gegend, die nur aus alten Häusern bestand und auch aus dementsprechend kleinen Gassen, die krumm und schief liefen, mal einen Bogen schlugen und auch schon mal im Nichts enden konnten.
Suko fragte sich durch, bis er schließlich die schmale Gasse gefunden hatte, in der sein Ziel lag. Der Wagen rumpelte über den schlechten Belag. Das Kopfsteinpflaster ragte unregelmäßig hoch aus dem Boden, es gab auch Lücken, alles
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