0647 - Hexenzauber
warteten, versunken in ihren Gedanken. Meditation, die innere Vorbereitung auf das kommende Ereignis, war ungemein wichtig. Eine jede von ihnen hatte sich für die Natur entschieden, nie gegen sie, und so hofften sie, dass die Natur sie auch annehmen würde, denn sie gaben sich ihr hin wie ein Opfer.
Gildas schlichtes Kleid wurde in Höhe der Taille in zwei Hälften geteilt. Ein Gürtel umspannte dort ihren Körper, und an ihm hing von der rechten Seite herab ein kleiner Beutel, den sie umfasste und den Knoten dabei löste.
Sie öffnete den Beutel und verstreute ein dunkles Pulver auf dem Grasboden und direkt vor dem großen Menhir.
Es war die Spur des Feuers, auf die sie sich verlassen wollten, um die Reinigung zu erfahren.
Gilda blieb dort stehen, wo die Spur begann, löste den Gürtel und knöpfte das Kleid auf, das mit einem leisen Rascheln zusammenfiel. Nackt stand sie da.
Obwohl Gilda schon vierzig zählte, hatte sie einen knabenhaften Körper.
Sie hatte ihre Blicke auf den Menhir gerichtet und konzentrierte sich auf ihren Gang durch die Flammen. Noch brannte das Feuer nicht, und noch waren sie nicht in der Lage, es allein durch ihre Blicke anzuzünden. Sie mussten sich der Zündhölzer bedienen.
Gilda drehte den Kopf. Sie wollte, dass ihr die Zündhölzer zugeworfen wurden.
»Bitte, Beate, das Feuer…«
Beate war die Jüngste mit ihren neunzehn Lenzen. Sie griff in ihre Leinentasche und hielt die schmale Schachtel bereits in der Hand, als es passierte.
Zuerst erklang ein puffendes Geräusch und zwar dort, wo die Spur endete und sich der Menhir befand. Das Pulver jagte als Wolke in die Luft und entzündete sich dabei.
Es war kaum zu fassen. Als wären von oben her Blitze in diese Wolke hineingefahren, die sich wiederum in Flammen verwandelt hatten und ihren Weg fanden.
Ein Zischen erklang, als das auf dem Erdboden verstreute Pulver Feuer fing.
Urplötzlich bildete sich ein Feuerstreifen, der den Kreis der Frauen in zwei Hälften teilte.
Das Licht brannte nicht ruhig, es bewegte sich, es flackerte, und es gab ein ungewöhnliches Leuchten ab, das mit den normalen Flammen nur wenig zu tun hatte.
Nicht rot, gelb oder orange, nein, es zeigte einen blauen Schein, der sich wiederum in verschiedene Farbnuancen aufspaltete. An manchen Stellen dunkler, an anderen wieder heller und von einem helleren Farbton begleitet.
Wenn jemand dieses Feuer hätte beschreiben müssen, wäre ihm eventuell der Begriff tot in den Sinn gekommen, denn die Flammen lebten nicht. Sie strahlten keine Hitze aus, sie gaben keinen Rauch ab, und sie faszinierten die versammelten Frauen auf eine ungewöhnliche Art und Weise. Zudem sorgten sie für eine Veränderung ihrer Gesichter, die einen bläulichen, totenblassen Ausdruck angenommen hatten, der auch nicht ruhig blieb, sondern aus einem Spiel bestand, bei dem sich fahles Licht und zuckende Schatten abwechselten.
Jede Frau spürte, dass kein Wärmestoß über sie hinwegstrich. Dennoch rissen sie sich zusammen und blieben sitzen. Nur die Köpfe bewegten sich, und die wiederum wandten sich ihrer Anführerin zu, um von ihr zu erfahren, was sich da tat.
Auch Gilda bewegte sich nicht. Eine halbe Körperlänge von ihren nackten Zehenspitzen entfernt begann die Flammenspur. Eigentlich hätte sie die Wärme spüren müssen, stattdessen merkte sie, wie allmählich eine Gänsehaut über ihren Körper kroch. Sie war wie ein finsteres Omen, ein Gruß aus einer Welt, die hinter der normalen lag. Als weiße Hexen hatten sie sich gefühlt, als Nachfolgerinnen der Ahnen, die noch mit der Natur verwachsen waren.
Nun aber spürte Gilda, dass sich diese Natur gegen sie wandte. Dass sie von einer geheimnisvollen Kraft manipuliert worden war, die von keiner weißen Hexe gewollt worden war.
Hier lauerte jemand anderer…
Sie wollte etwas zu ihren Freundinnen sagen, aber sie bekam den Mund nicht auf, weil sich am Ende der bläulichen und kalten Flammenspur etwas veränderte.
Dicht vor dem großen Menhir durchfuhr eine ungewöhnliche Bewegung das Feuer.
In seinem Innern entstand etwas…
Es war nicht leicht, das herauszufinden. Irgendetwas störte und wollte nicht passen, aber es gab keinen Zweifel, dass dieses Fremde in den Flammen geboren war.
Ein Körper.
Nackt, sehr fraulich, wie eine Statue mit blonden Haaren und sehr heller Haut, die keinerlei Verbrennungen aufwies.
Eine Person, die nicht nur dem Feuer widerstand, die es sogar kontrollieren konnte.
Ute Bergmann!
***
Innerlich spürte
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